Alice in Wonderland (Alice im Wunderland) von Tim Burton. USA, 2009. Mia Wasikowska, Johnny Depp, Helena Bonham-Carter, Anne Hathaway, Matt Lucas, Crispin Glover

   Manche Stoffe suchen sich scheinbar die berufenen Künstler selbst aus – wer bitteschön könnte geeigneter sein, Lewis Carrols zeitlose Bücher ins Kino zu transportieren, als die Herren Burton und Depp, seit Jahr und Tag ein unschlagbares Team, wenn höherer Blödsinn gefragt ist. Burton changiert ja gern zwischen etwas kindlicheren und auch mal horrornäheren Sujets, und nach seiner arg grimmigen Halsabschneideroper „Sweeney Todd“ war jetzt mal wieder die andere, freundlichere, wenn auch nicht weniger verschrobene Seite der Medaille dran, die mir persönlich ja auch sehr viel näher liegt. Und was lag aktuell näher, als die neue Alice zugleich in 3-D auftreten zu lassen und im Gewässer des neuesten Vermarktungstrends mitzuschwimmen. Also Brille auf und ab geht’s durchs Erdloch tief runter ins Wunderland.

   Die Alice bei Mr. Burton ist allerdings kein sechsjähriges naseweises Mädchen mehr, sondern ein neunzehnjähriger Backfisch, der gerade im Begriff ist, von den wohlmeinenden Familienangehörigen unter die Haube geschubst zu werden. Leider ist der Antragsteller ein unansehnlicher Einfaltspinsel und nie und nimmer ein gleichwertiger Partner für die lebhafte, geistreiche und überaus fantasiebegabte Alice, und so ist es gerade recht, dass just im Moment ärgster Bedrängnis (ein Heiratsantrag vor ungefähr fünfzig erwartungsvoll lauschenden Partygästen) der ungeduldig drängelnde Hase mit der Uhr wieder auftaucht und Alice den entscheidenden Anlass gibt, sich flugs davonzumachen. Sie landet im Wunderland, braucht erst mal ihre Zeit, um sich wieder zurechtzufinden, sodass die Beobachter bereits daran zweifeln, die richtige Alice vor sich zu haben. Und die selbst scheint sich auch nicht sicher zu sein, ob sie überhaupt schon mal hier unten war, aber zum Sinnieren bleibt auch nicht viel Zeit, denn flugs wird sie in den Streit der verfeindeten Schwestern hineingezogen, der Weißen Königin und der Roten Königin, muss sich für eine der Seiten entscheiden und steht am Ende vor ihrer großen Bewährungsprobe, den fiesen Jabberwocky erlegen zu müssen. Mit dessen Blut schafft sie die Rückkehr in die wirkliche Welt, bügelt ihren Kavalier und die brüskierte Verwandtschaft freundlich ab und kümmert sich lieber darum, die Geschäfte ihres verstorbenen Vaters in dessen Sinne fortzusetzen. Dazu ist sie auch bestens geeignet, denn just ihr Vater hat ihr wohl den Hang zu großen, kühnen Visionen vererbt.

   Es natürlich ein Ding der Unmöglichkeit, den unnachahmlich genialen, zauberhaft verspielten Sprachwitz Lewis Carrolls halbwegs adäquat in einem Film herüberzubringen, und Burton und sein Team haben das auch gar nicht erst versucht, sondern sich weitgehend auf die optische Ebene verlegt, richtig so, denn darin ist Burton der Meister. Er erreicht Carrolls Verspieltheit auf seine eigene Weise und erweckt all die wunderbaren Gestalten wie den Hutmacher, die Grinsekatze, Diedeldum und Diedeldei, den nervösen Hasen, die beiden verfeindeten Königinnen und ihr jeweiliges Gefolge, zu plastisch-vergnüglichem Leben. Fast zwei bunte, turbulente und erstaunliche Stunden ist die Leinwand gefüllt mit schrägen und originellen Typen, und hier und da blitzt tatsächlich auch ein Rest des berühmten Carrollschen Unsinns auf, auch wenn natürlich all die irrwitzigen Unterhaltungen und Debatten fehlen, die die beiden Alicebücher zu den lustigsten und geistreichsten Kinderbüchern aller Zeiten machen. Burton versucht, das Konzept anzureichern mit ein bisschen Identitätssuche und einigen eher auf Publikumswirksamkeit abzielenden Motiven, was nicht immer so gelungen ist, und auch nicht neu, denn wie häufig musste der Held schon den sprichwörtlichen Drachen erlegen, um zu sich selbst und seiner Bestimmung zu finden, und ich hätte mir für Alice eine etwas originellere Prüfung gewünscht als das unappetitliche Kopfabhacken mit dem großen Schwert. Hier fällt Burton für kurze Zeit in die typischen Fantasyklischees, die mit Carrols Welt absolut nichts zu tun haben. Alices abschließender souveräner und selbstbewusster Auftritt vor den sprachlosen Gecken auf der Gartenparty und dem bewundernden ehemaligen Geschäftspartner ihres Vaters ist allerdings wieder eine feine Show.

 

   Alles in einem ist dies ein sehr feiner und visuell natürlich hoch attraktiver Kinogenuss. Burton lässt seine Kreativität ins Kraut schießen, diesmal wieder mit sehr erfreulichen Resultaten, ein paar der 3-D-Effekte machen sogar Spaß und Sinn (auch wenn ich sie generell nicht brauche), und die Schauspieler sind mit sichtlicher Freude bei der Sache, nicht nur Depp, der ideale Mad Hatter, sondern auch Bonham-Carter, die aus Burtons Universum ebenso wenig wegzudenken ist. Dazu gibt’s dann noch eine erfrischend eigenwillige Alice und jede Menge skurriler Sidekicks, viel Spaß, Magie und Spannung. Wenn der Film auch wie oben erwähnt nicht ganz frei von Schwächen ist, so denke ich schon, dass Burton der richtige Mann ist, wenn es darum geht, Lewis Carroll für’s Kino aufzubereiten. (20.3.)