An education (#) von Lone Scherfig. England, 2009. Carey Mulligan, Peter Sarsgard, Alfred Molina, Cara Seymour, Rosamund Pike, Dominic Cooper, Matthew Beard, Olivia Williams, Emma Thompson, Sally Hawkins
Jenny ist sechzehn und muss ihre Jugend in den frühen 60ern in einem biederen Londoner Vorort mit biederen Eltern und in einer biederen Schule verbringen. An sich schon eine undankbare Sache. Die Aussichten, so wie Dad es gern hätte: In Latein ranklotzen und dann ab nach Oxford auf die Uni. Klingt auch nicht gerade aufregend. Als sie eines Tages dem fast fünfzehn Jahre älteren David begegnet, öffnet sich für sie die Tür zu einem ganz neuen, aufregenden, abenteuerlichen Universum. Plötzlich besucht sie Konzerte, Bars, Auktionen, Partys, sie nimmt Kontakt zur Welt der Erwachsenen auf, wird umworben, angeflirtet, erhält Geschenke und Komplimente, und in dem Maße, in dem sie sich dieser Welt annähert, entfremdet sie sich von ihrer kleinen, braven Jungmädchenwelt und ihren alten Freundinnen. David ist nicht nur ein galanter, sondern auch ein äußerst smarter Knabe, der Jennys strengen Dad um den Finger wickelt und ihm sogar ein Reise nach Paris aus dem Kreuz leiert. Plangemäß verliert Jennys dort an ihrem siebzehnten Geburtstag ihre Jungfräulichkeit, was aber keinen so bleibenden Eindruck hinterlässt, wie sie es erhofft hatte. Bleibender sind in jeder Hinsicht die Folgen ihrer Eskapade: Sie fliegt prompt von der Schule und wird jäh in die Realität zurückgeholt, als sich David als verheirateter Schürzenjäger und Lügner entpuppt, der schon mit vielen arglosen jungen Mädchen sein übles Spiel getrieben und so manchen unehelichen Nachwuchs hinterlassen hat. Jenny aber kriegt noch grad die Kurve: Mit Hilfe einer wohlwollenden Lehrerin schafft sie ihren Abschluss und die Aufnahme in Oxford.
Ich mag Filme über das Erwachsenwerden und was so dazugehört, und also mag ich auch diesen Film, sehr sogar. Er erfüllt zunächst mal meine Erwartungen das Team Scherfig – Hornby betreffend, denn die haben zu zweit ganze Arbeit geleistet, er mit einem geistreichen, gefühlvollen und vor allem witzigen Drehbuch, und sie mit der adäquaten Regie dazu. So eine Geschichte ist gar nicht so einfach zu erzählen, wenn man es gut machen will, und die beiden haben es wirklich gut gemacht, und man kann genau benennen, was alles dazugehört. In erster Linie kommt es auf den richtigen Ton an, darauf, weder zu nostalgisch und kitschig noch zu lieblos und distanziert an die Sache heranzugehen, weder unkritisch zu verklären noch aus heutiger Sicht überlegen herabzulächeln auf eine uncoole, niedliche Epoche weit jenseits unserer Vorstellung. Diese delikate Balance treffen Scherfig und Hornby perfekt, das macht den Charme und die Liebenswürdigkeit ihres Films aus.
Dass die swinging sixties 1961 definitiv noch nicht angebrochen waren, bekommen wir hier nachhaltig versichert, zum einen in den Schulszenen, vor allem aber in den wunderbar gestalteten Familienszenen mit Jenny und den Eltern, in denen sich das ganze Elend jener Zeit grausam schön abbildet. Alfred Molina liefert eine Glanzleistung als Jennys Dad, einem Mann, der ganz auf Funktion und Akkuratesse programmiert ist, der mit Mädchen im weiteren Sinne gar nichts anfangen kann, der zu ihrer Gefühlswelt keinerlei Verbindung hat (oder haben will), der seine Tochter lediglich gut untergebracht wissen will und dem es natürlich wesentlich lieber ist, sie in einer soliden Ehe als in Oxford zu sehen. Ein schauerlicher Spießer und Pantoffelheld, und doch hat er am Ende eine große Szene, als er nämlich genau das zugibt und Jenny auch noch erklärt, woher das kommt und ihr versichert, dass er sie von nun an ihren eigenen Weg gehen lässt, was natürlich von um so mehr Größe zeugt, da er sich genau dagegen immer strikt verwahrt hatte. So wird hier niemand im Regen stehen gelassen, mit Ausnahme Davids vielleicht, denn der ist am Ende nur noch ein feiger Windhund ohne Schneid und Format, für den offenbar auch seine eigene Frau nur noch resigniertes Mitleid übrig hat. Immerhin aber ist David zweifellos eine wichtige Station auf Jennys Weg zum Großwerden, wenn es um die Diskrepanz zwischen Schein und Sein geht, um das scheinbar sorglose, freie Leben und den Preis dafür (den vor allem die anderen zahlen müssen). Auch hier verfällt der Film nicht in Moralpredigten, er bleibt leicht und er gibt den Personen die Gelegenheit, sich und ihren Standpunkt zu erklären, was letztlich von viel Respekt für alle Beteiligten zeugt und was eine besondere und nicht häufig anzutreffende Qualität darstellt.
Scherfig/Hornby ging es in erster Linie nicht um das Porträt einer Epoche, es ging ihnen um eine Initiationsgeschichte, vielleicht auch eine Emanzipationsgeschichte, um die Geschichte eines jungen Mädchens am Übergang von einem Stadium in das nächste, und natürlich ging es ihnen auch darum, Erfahrungen zu teilen, die jeder von uns auf die eine oder andere Art selbst gemacht hat, und zwar nicht nur die Mädels. Gerade Hornby hat in seinen fabelhaften Roman oft genug bewiesen, dass er ein echter Spezialist für dieses Thema ist, und er hat seine Qualitäten zu meiner großen Freude voll in den Film einbringen können, was zum einen für sich selbst spricht und zum anderen dafür, dass sich Scherfig als Regisseurin ganz uneitel darauf einlassen konnte. Und das ist auch eine Qualität! Ein wunderschöner Film, einfach viel Spaß mit viel Herz. (3.3.)