Baarìa (#) von Giuseppe Tornatore. Italien, 2009. Francesco Scianna, Margareth Madè, Angelina Moliona, Lina Sastri, Salvo Ficarra, Valentino Picone, Gaetano Aronica, Enrico Lo Verso

   Im Grunde ist dies weniger ein Kinofilm als vielmehr ein ideales Ausstellungsstück: Einhundertfünfzig Minuten für’s Völkerkundemuseum Abteilung italienisches Volkstheater oder auch italienische Oper. Giuseppe Tornatore hat uns tatsächlich den Gefallen getan (na ja, ob das wirklich ein Gefallen war...) und so gut wie all jene Klischees, mit denen uns die Italiener seit jeher genervt haben, in einen einzigen Film gepackt, und zwar völlig unkritisch und ganz ernsthaft, also auch nicht mal mit jener intellektuellen Distanziertheit, die Bertoluccis großes Italienepos „1900“ auszeichnet (die es aber auch nicht besser macht...).

   Mehr als ein halbes Jahrhundert sizilianische Geschichte werden hier verwurstet, konzentriert auf das kleine Dorf Bagheria nahe Palermo (der archetypische italienische Mikrokosmos, schon klar), und dort wiederum auf die Familie Torrenuova, hart arbeitende einfache Leute wie die meisten dort, im ständigen Clinch einzig mit den Großgrundbesitzern, die die karge Erde noch immer unter sich aufteilen und eifrig mit den jeweiligen Machthabern paktieren. Wie man weiß, deckt die jüngere italienische Geschichte gerade auf diesem Gebiet ein enormes Terrain ab – es tummeln sich folglich auch in Baarìa abwechselnd Monarchisten, Faschisten, Republikaner, Christdemokraten und Kommunisten, und über allem steht immer als einzige Konstante die Mafia, die die Geschäfte kontrolliert, die Geschicke lenkt und bei Bedarf unliebsame Gegner entfernt.

   Wir begleiten Peppino Torrenuova auf seinem Lebensweg vom kleinen Jungen bis hin zum Vater von fünf Kindern, erleben, wie er das schönste Mädchen weit und breit ergattert und rechtschaffen um sie kämpft, wie er sich für die Kommunisten engagiert und ununterbrochen in politischen Missionen unterwegs ist, wie er seine Familie vergrößert, und wie sich drumherum sein Baarìa wandelt von einem rückständigen, archaischen Bergdorf in eine normale Provinzkleinstadt (ca. 50.000 Leute), in der sich nur noch bei genauerem Hinsehen Spuren der Geschichte und der Ureinwohner finden lassen.

   Das Problem des Films ist von Anfang an klar: Tornatore ist mit ungemein viel Herzblut und Eifer und Sendungsbewusstsein bei der Sache, doch es ist ihm leider überhaupt nicht gelungen, dem Film eine organische Form, ein inneres, thematisches wie emotionales Zentrum zu geben. Wir erleben eine ununterbrochene, atemlose Abfolge einzelner Episoden, rasch und oft unübersichtlich aneinandergereiht, wir haben aber niemals Zeit, uns auf Land und Leute wirklich einzulassen, weil alles viel zu schnell geht, weil der Film einer Nummernrevue ähnelt. Obgleich die handelnden Personen hier für sich genommen durchaus eindrucksvolle Menschen sein mögen, habe ich nie richtig Kontakt zu ihnen bekommen, zu mechanisch und sensationslustig treibt Tornatore seine elliptische Erzählung voran. Nirgendwo eine Vertiefung, nirgendwo ein sichtbarer Akzent, und wenn man böse sein wollte, müsste man dem Herrn unterstellen, er habe seine Landsleute, die Menschen seiner Jugend nur als Staffage für seine private Freak Show verwendet – ein wenig wie Fellini, dessen üppig überladenen Egotrips ich einst ebenso wenig abgewinnen konnte. Die Politik taucht nur in Form von großem Palaver und lautem Gedöns auf, das Zusammenleben in der Familie bleibt total oberflächlich und beschränkt auf einige wenige „große“ Momente, das Leben in der Gemeinschaft einer sizilianischen Landgemeinde wird auf bekannte Klischees reduziert, was um so ärgerlicher ist, da Tornatores Anspruch doch eigentlich ein ganz anderer hätte sein müssen.

 

   Natürlich lässt mich meine grundsätzliche Liebe zum italienischen Film die Vorzüge nicht übersehen: Grandiose Bilder, opulente Musik (ich dachte, der Morricone ist längst weg...), hinreißend schöne Hauptdarsteller (aus welchem Genpool holt der Tornatore die bloß immer...), kurz, die große Tradition italienischer Filmästhetik wird heraufbeschworen und sorgt mal wieder für zweieinhalb sinnlich berauschende Kinostunden. Leider fehlt eben der Unterbau, das Futter für’s Hirn, die berüchtigte Substanz. Ein oberflächlicher, rein an äußeren Reizen interessierter Bilderbogen bringt es nicht, ein hastiger Ritt durch die jüngere italienische Geschichte auch nicht, eine letztlich lieblos kompilierte Sammlung volkstümlicher Stereotypen erst recht nicht, im Gegenteil, so was ärgert mich immer besonders (siehe auch Irland). In „Cinema Paradiso“ hat mich Tornatores Hang zu monumentalem Kitsch schon empfindlich gestört, in „Die Unbekannte“ hat er immerhin eine faszinierende Story zur Hand gehabt, dieses Epos jedoch ist alles in allem ziemlich gescheitert und zeigt mir nachdrücklich, dass dies nicht gerade mein Lieblingsregisseur aus Italien ist und auch nicht mehr werden wird. Und wenn ich mal ein sizilianisches Epos sehen will, dann schaue ich mir eben zum x-ten Mal Viscontis Leoparden an, der hat nämlich mustergültig gezeigt, wie man Opulenz mit Substanz verbinden kann (nicht, das Visconti das sonderlich häufig gelungen wäre...). (7.5.)