Boxhagener Platz von Matti Geschonneck. BRD, 2009. Samuel Schneider, Gudrun Ritter, Michael Gwisdek, Jürgen Vogel, Meret Becker, Hermann Beyer, Horst Krause
1968 am Boxhagener Platz in Friedrichshain/Berlin-Ost: Während anderswo die Welt explodiert, feiert der Arbeiter- und Bauernstaat mit impertinentem Frohsinn sich selbst, rechtfertigt eifrig den Einmarsch des großen sowjetischen Bruders beim kleinen tschechischen Bruder und runzelt schon die Stirn, wenn mal irgendwo „Bus Stop“ von den Hollies gespielt wird. Ein überschaubarere Kiez mit vielen Wohnungen, kleineren Läden und der obligatorischen Eckkneipe, regelmäßig frequentiert von der einschlägigen Nachbarschaft. Holger ist zwölf und hat keine Wahl, als so aufzuwachsen. Er lebt abwechselnd bei den Eltern, die allerdings ein höchst spannungsgeladenes Verhältnis pflegen, und der Oma, einer unkonventionellen Dame, deren flotter Lebenswandel nicht gerade dem Klischee ihrer Generation entspricht. Holgers Universum wird umrissen von den Friedhofbesuchen mit der Oma, den Streiterein zwischen der aufmüpfigen Mutter und dem aufrecht kommunistisch gesonnenen Vater und der Riege von Omas Verehrern, die das gesamte politische Spektrum von ganz links bis ganz rechts abdecken. Leider hat Oma die Angewohnheit, ihre Männer sämtlich zu überleben, und so muss auch im Laufe dieser Geschichte der eine oder andere ins Gras beißen, was fast noch zu einer ausgewachsenen detektivischen Ermittlung führt.
Der Film hat mir schon deshalb so gut gefallen, weil er sowohl die unerträgliche Ostalgie als auch die ebenso unerträglichen Witze à la Leander Haussmann total vermeidet, sondern überraschend ruhig und fast ein wenig melancholisch daherkommt. Natürlich ist die Erzählung im Grundtenor eher komödiantisch angelegt mit einigen hübsch makabren Einschlägen, doch geht es in erster Linie darum, ein Lebensgefühl, eine konkrete Stimmung festzuhalten, und dies ist meiner Meinung nach extrem gut gelungen. Die Ruhe und Langsamkeit er Szenen lässt den Eindruck einer hermetischen kleinen Welt entstehen, die ganz mit Absicht von allem übrigen Weltgeschehen mit Ausnahme des kommunistischen abgeschnitten war. Leben unter einer Glasglocke, immer nur bis an die eigenen Grenzen sehen und um Gottes Willen nicht darüber hinaus, von Denken ganz zu schweigen. Man geht auf raue Weise freundlich miteinander um, weiß jedoch, dass der Ton sich jederzeit auch verschärfen kann, dass die Partei Mittel und Wege hat, in jedes noch so private Umfeld einzudringen, wenn es nötig sein sollte. Wer aus diesem Käfig auszubrechen versucht, gilt bestenfalls als zickig und hysterisch, wie Holgers Mutter, deren Ehe mit dem spießigen Uniformträger nie ganz plausibel wird. Ansonsten kommen Spartakusveteranen und Altnazis auf engem Raum zusammen, werden kurzerhand absorbiert von der sozialistischen Gemeinschaft mit dem Einheitsdesign und dem Einheitsfernsehen, sodass am Ende alles auf irgendeine Weise grau und grau erscheint. Selten ist es einem deutschen Film gelungen, auf so diskrete, fast unauffällige Weise solch präzise Milieustudien zu betreiben, ohne extrem überzeichnen oder sonst wie kommentieren zu müssen. Geschonneck hält sich mit Urteilen sehr zurück, beobachtet aus ironischer, gleichzeitig aber auch sympathisierender Distanz, und schlägt sich letztlich auf Holgers Seite, dessen coming of age traurigerweise eher in einer erwachsenen Umgebung stattfinden muss, denn Gleichaltrige, erst recht Mädchen, scheinen hier Mangelware zu sein, weshalb er sich vorwiegend mit Omas, Opas, Nachbarn, Kneipenhockern und anderen schillernden Repräsentanten des Erwachsendaseins auseinander zu setzen hat. Die rebellische Mutter ist die Einzige, die gelegentlich Farbspritzer von außen in dies monochrome Dasein bringt, indem sie auf Westfernsehen umschaltet oder dem faden Gatten zum Trotz westlichen Pop in provozierender Lautstärke hört. Leider wird sie im allgemeinen Muff einfach erstickt, wie so vieles andere, und genau dieses Gefühl wird sehr intensiv und nachfühlbar herübergebracht in diesem vorzüglich inszenierten und gespielten Film, einer Art nachdenklicher Komödie, die sich nicht so leicht einsortieren lässt und deshalb gar nichts mit den anderen ungleich platteren Werken zu tun hat, die sich einfach nur auf irgendeine Weise lustig machen und bereichern wollen. (18.3.)