The imaginarium of Dr. Parnassus (Das Kabinett des Dr. Parnassus) von Terry Gilliam. England/Frankreich/Kanada, 2009. Heath Ledger, Christopher Plummer, Lily Cole, Andrew Garfield, Verne Troyer, Tom Waits, Johnny Depp, Jude Law, Colin Farrell
Terry Gilliams Filme sind so ähnlich wie eine Kinderkarussellfahrt auf Speed, ein Trip, den man einwirft oder nicht, eine abgefahrene Gaudi oder ein nervtötendes Ärgernis, je nach Tagesform sicherlich und je nach persönlicher Disposition. Meine Tagesform war nach langem Schaffen leider nicht mehr die beste, und meine Bereitschaft, mich auf Gilliams überdrehte Fantasywelten einzulassen, wenig ausgeprägt, mit anderen Worten, ich war vermutlich zur falschen Zeit am falschen Ort, und verließ nach gut zwei Stunden einigermaßen unberührt und befremdet den Saal. Das mag wie gesagt zum Teil an mir selbst liegen, zum größeren Teil allerdings schiebe ich das doch auf den Film, der meiner Meinung nach ganz einfach nicht sonderlich geglückt ist. Ihm fehlt, was für mich persönlich zu einem guten Film gehört (die ganz wenigen Ausnahmen bestätigen tatsächlich die Regel!), nämlich die Erdung in der realen Welt, von wo aus sich dann alle möglichen Abwege ergeben können, eine Geschichte mit einem erkennbaren roten Faden und ein paart Figuren, zu denen ich irgendeine Art von Beziehung aufbauen kann, nicht mal unbedingt Nähe und Identifikation, aber irgendetwas, das mich teilhaben lässt an dem was sie tun, sagen und fühlen.
All das hat dieser Film nicht, und das tut mir eigentlich leid, denn Terry Gilliam ist zweifelsohne das, was man einen Kinovisionär nennt, womit er sich erstens sehr weit aus der anonymen Masse all der fleißigen Fließbandfabrikanten abhebt, und womit er zweitens Respekt für seine Integrität und Kompromisslosigkeit verdient. Wenn der Mann einen Film macht, kann man davon ausgehen, dass er zu einhundert Prozent mit seiner Person dahintersteht, und da gibt es sehr sehr viele sogenannte Regisseure, von denen man das todsicher nicht behaupten könnte.
Das heißt aber alles nicht, dass ich einen guten Zugang zu Gilliams schillernden Visionen und Phantasiewelten finde. Seine Zeit bei Monty Python kommt mir da am meisten entgegen, mit seinen Soloprojekten aber habe ich zumeist große Schwierigkeiten. Einzig „Time Bandits“ und „Tideland“ haben mir gut gefallen, mit anderen („Brazil“, „Fear and loathing“) konnte ich weniger anfangen, manche (Münchhausen oder die Brüder Grimm (habe ich gar nicht erst gesehen aus grundsätzlichem Mangel an Interesse.
Diesmal geht’s um einen Schausteller, Besitzer eines Spiegelkabinetts, den seine Spielsucht immer wieder zur wilden Wetten mit dem Teufel treibt. Mal gewinnt er und erlangt dadurch die Unsterblichkeit, mal verliert er und muss seine Tochter an ihrem sechzehnten Geburtstag an den Widersache übergeben. Um gerade dies doch noch zu verhindern, lässt er sich auf ein letztes Duell ein, in dem es um die Gewinnung von fünf Selen geht. Fast schon haben er und seine Helfer den Sieg vor Augen, da schüttelt der Teufel noch einen üblen Trick aus dem Ärmel...
Es geht ja gar nicht um die Story, der Gilliam gewohnt wenig Sorgfalt widmet. Es gibt kaum eine Dramaturgie, kaum einen nachvollziehbaren Ideenstrang, es geht hauptsächlich um das, was sich abspielt, wenn man durch den Spiegel in Dr. Parnassus’ Kabinett tritt. Das geschieht natürlich häufiger in dem Film, denn sonst hätte Gilliam ja gar keine Gelegenheit, sich auszutoben, seiner Kreativität Zucker zu geben. Nun, er tut’s natürlich, und immer wieder staunt man über seine ungebrochene visuelle Einfallskraft, den Witz und die schräge Originalität seiner Trickszenen, die zum Teil sehr an alte MP-Sketche erinnern. Vielfach aber, so habe ich es jedenfalls empfunden, läuft diese Kreativität etwas ins Leere, dient nichts als sich selbst, erzeugt nicht mehr als reizvolle Umwege, die mich aber auf Dauer ermüdet haben, denn ein Terry-Gilliam-Film ist auch eine pausenlose Sinnesreizung – ständig ist was los, ständig dudelt Zirkusmusik, kurze Augenblicke des Atemholens, der Besinnung sind nicht eingeplant. Das Leben als einzige Freakshow, das ist die Idee, das zelebriert Gilliam wie kein anderer, nur muss man es eben mögen.
Das traurige Handicap, dass ihm ausgerechnet sein Hauptdarsteller mitten in den Dreharbeiten abhanden kam, kompensiert Gilliam allerdings brillant; die Idee, Heath Ledger durch drei andere ebenfalls sehr prominente Kollegen zu ersetzen und ihnen jeweils eine längere Spiegelsequenz zuzuordnen, funktioniert hervorragend und fällt innerhalb der sowieso total windschiefen Logik des Films absolut nicht auf. Alle Schauspieler sind voll bei der Sache, haben offenbar viel Spaß (vor allem Tom Waits als Teufel ist eine echte Show!), die Abteilung optisches Design hat wie immer Großes geleistet, für mich aber kommt der Film im Ganzen nicht recht zusammen, er ist nicht mehr als eine Reihung erstaunlicher kleiner Kabinettstückchen, die mich jedoch über zwei lange Stunden eher ermüden und irgendwie nicht recht berühren. (15.1.)