Le petit Nicolas (Der kleine Nick) von Laurent Tirard. Frankreich/Belgien, 2009. Maxime Godart, Kad Merad, Valérie Lemercier, Sandrine Kiberlain, Francois Damiens, Vincent Claude, Charles Vaillant, Victor Charles, Benjamin Averty, Michel Duchaussoy
Ich geb’s zu – die Bücher von Goscinny und Sempé habe ich nie gelesen, und ich wage mal zu behaupten, dass sie zu meiner Kinderzeit hierzulande auch nicht sehr weit oben auf der Popularitätsskala rangiert haben dürften, denn sonst hätte ich das schon irgendwie mitgekriegt. In Frankreich waren sie immer heißgeliebt, und anderswo sind sie heutzutage Kult, zum einen, weil so vieles aus den 60s Kult geworden ist, zum anderen aber auch, weil sie ein so liebenswürdig-charmant-ironisches Bild jener versunkenen, verzauberten Epoche vermitteln.
Und ganz genau das gelingt auch dem Film, weswegen ich mal annehme, dass er den Ton der Bildgeschichten außerordentlich gut trifft. Klar - das ist kein Film für die X-Box- und I-Pod-Generation (gottlob, denn den würd ich mir gar nicht erst ansehen!), weshalb er sich paradoxerweise, obwohl eben Kinder die Hauptrolle spielen, gar nicht an die Kids von heute richtet, sondern viel eher an die Erwachsenen, die mit Mode, Bildern, Farben, Dekors, Autos, und allem, was eben so zu den Sechzigern dazugehört, noch etwas anfangen können. Und dieses Gefühl empfindet der Film wirklich perfekt nach – man meint, die 60er direkt auf der Zunge zu schmecken. Das hat natürlich was mit Nostalgie zu tun und nix mit kritisch-distanzierter Reflexion, aber dies ist eben ein ganz ungeniert, unverschämt nostalgischer Film, der auch gar nichts anderes sein will. Der sich nicht dem aktuellen Konsumgeschmack anbiedern will, weswegen alles hier wunderbar altmodisch wirkt, auch die Scherze, die die Jungs mit ihren Lehrern, Eltern und Mitschülern treiben, der Blick auf das typisch kleinbürgerliche Elternhaus von damals, auf den bebrillten Klassenstreber, die einfältigen Kids reicher Leute, den Vorstädten, die langsam aber sicher zu wachsen anfingen, und so sieht man überall Bauzäune und Protzplakate, auf denen schon die Trabantenstädte von morgen angekündigt wurden. Man sieht so gut wie jedem Bild die Begeisterung und die Liebe der Beteiligten zu ihrem Projekt an, und dies überträgt sich eins zu deins auf die Zuschauer.
Wir sehen einen Ausschnitt aus Nicks Kinderleben – der Alltag zwischen Schule und Elternhaus mitsamt der Hausfrau und Mama und dem strebsamen Papa. Zwei Themen beherrschen die Erzählung: Nicks Panik, er könne von einem jäh auftauchenden kleinen Brüderchen ins Abseits gedrängt und verstoßen werden und seine Versuche, sich bei seinen Eltern ganz besonders beliebt und unentbehrlich zu machen. Und Mamas und Papas Plan, den Chef mitsamt Gattin zu einem Diner einzuladen, um Punkte für die heiß ersehnte Beförderung zu sammeln. Beide Unternehmungen erfahren groteske Ausprägungen und gehen natürlich gründlich schief, und dennoch gibt es ein Happy End: Paps wird wohl doch noch die Treppe rauffallen, und Nick wird nicht im Wald ausgesetzt, sondern bekommt das plötzlich doch sehnlicht gewünschte Geschwisterchen – das ist allerdings ein Mädchen, und Mädchen sind, wie jeder Junge weiß, bestenfalls schräg und eigentlich von einem ganz anderen, weit entfernten Stern. So wird auch diese Freude gleich wieder getrübt, c’est la vie...
All dies macht einfach nur riesig viel Spaß. Der Humor ist eher etwas schrullig, bezieht seinen Charme zum Teil aus dem Wiedererkennen vieler Situation, aber auch aus der satirischen, aber nicht denunziatorischen Überzeichnung der Charaktere, wofür Goscinny ja immer schon ein Händchen hatte. Die Schauspieler, gerade auch die Kinder, sind erste Sahne, der Peugeot 404 sieht flott aus wie am ersten Tag, und ich hab mich einfach darüber gefreut, dass dieser Film ganz bei sich bleibt und nicht versucht, nach irgendeiner kalkulierten Zielgruppe zu schielen. Was ja auch verdammtnochmal nicht immer sein muss – die X-Box-Kids haben doch genug Filme für sich, das hier ist was für Nostalgiker, Romantiker, Genießer, was weiß ich. Schön, dass es solche Filme heute geben darf (und sie auch noch jemand zeigt...). (31.8.)