Der letzte schöne Herbsttag von Ralf Westhoff. BRD, 2010. Julia Koschitz, Felix Hellmann, Katharina Marie Schubert, Leopold Hornung

   Die Geschichte von Leo und Claire ist die uralte und immer neue Geschichte: Boy meets Girl. Und nach zwei Jahren Zusammenleben mit schönen Tagen und schwierigen Tagen, mit Sex und Zank und Missverständnissen und Versöhnung und all den zahllosen Details, die solch eine Geschichte eben ausmachen, ziehen die beiden Bilanz und stellen fest, dass sie eigentlich gar nicht zusammen passen. Er kann nicht mal sein Rad flicken oder eine Lampe anbringen, ist in Gefühls- und Beziehungsfragen ein Totalausfall hart am Rande des Autismus, der die Freundin vergisst, sobald sie aus seinem Blickfeld gerät, ungelenk, verbohrt und wehe, man will mal mit ihm reden. Sie ist schwierig, launisch, unberechenbar und temperamentvoll, will immer alles bis ins kleinste ausdiskutieren, auch wenn’s da gar nix zu diskutieren gibt, stellt dauernd irgendwelche komischen Fragen, ist hypochondrisch bis unter die Achseln, macht aus jeder Mücke einen Elefanten, und am liebsten gäbe es eine Gebrauchsanweisung für Claire. Sie geben zu: Sie ist unglücklich, er ist überfordert. Sie trennt sich schließlich, und er merkt, er braucht sie und will sie zurück. Tatsächlich kriegt er sie auch zurück, und sie befürchtet gleich schon, dass jetzt alles wieder von vorn losgeht – und  nach allgemeiner Erfahrung wird’s wohl auch so sein.

 

   An dieser einfachen Geschichte arbeiten wir alle uns fast ein Leben lang ab, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg, mal glücklicher, mal weniger glücklich und so weiter. Miteinander geht eigentlich nicht, ohne einander aber erst recht nicht. Einfach raushalten gilt nicht, nur wer leidet, der lebt auch richtig, sollte man meinen, und also leiden und ackern wir weiter. In diesem kleinen Film steckt sehr viel Wahrheit für beide Seiten, weshalb er auch von beiden Seiten offenbar gern gesehen und auch mit reger Anteilnahme verfolgt wird. Mal lachen nur die Männer, mal nur die Frauen, manchmal aber auch beide, denn natürlich kann man über die Kapriolen von Leo und Claire lachen, solange man selbst nicht direkt mit drinsteckt. Als Mann habe ich häufiger zwischendurch gedacht, ja, genau so isses, genau die Sprüche habe ich x-mal gehört, genau diese zermürbenden Diskussionen habe ich x-mal durchgestanden, immer wieder dasselbe. Sehr wahrscheinlich wird es den Frauen im Publikum nicht anders ergangen sein, denn Leo und Claire haben ziemlich gleich verteilte Anteile, beide äußern sich lang und ergiebig, sprechen direkt in die Kamera, berichten von einzelnen Begebenheiten, schönen und weniger schönen, schildern die Schwierigkeiten jeweils aus ihrer Sicht, und machen schon durch das Gesagte deutlich, wie weit die Wahrnehmung von Mann und Frau manchmal voneinander entfernt ist. Das mag Stoff für sehr viel reizende Komik sein, das ist manchmal aber auch Stoff für Bitterkeit und Frust, und auch davon ist hier die Rede, wohl ausgewogen allerdings, und insgesamt überwiegt eine fast zärtliche, sanfte Komik, die ich sehr ansprechend fand und die nichts zu tun hat mit den vielen platten Komödchen über die Geschlechter und ihre ewigen Raufereien. Ralf Westhoff zeigt hier brillantes Gefühl für Ton und Timing, sein Drehbuch trifft die Nuancen sehr präzise und ist fast unheimlich fest im Alltag, in jedermanns Erfahrungswelt verankert. Das hier sind zwei Normalos, ihr Leben ist normal und ihre Probleme erst recht. Niemand, der für uns unerreichbar wäre, niemand, auf den wir herabsehen könnten, zwei Leute auf Augenhöhe, er mit bestem Freund, sie mit bester Freundin, und mit diesem sparsamen Personal füllt der Film knapp neunzig faszinierende Minuten, sehr in der Tradition der klassischen französischen Komödien à la Rohmer, in denen auch unentwegt geredet wird, und in denen man sich über das Reden unerbittlich dem Kern, der Wahrheit annähert. Die beiden Hauptdarsteller sind extrem gut und wunderbar, das unaufdringliche Großstadtflair allgegenwärtig und auf jede Stadt übertragbar, und viel eindrucksvoller, tiefgründiger und präziser noch als in „Shoppen“ hat Westhoff hier wirklich einen tollen Film über Männer und Frauen gemacht, ein Thema, das einen einfach nicht loslässt. (24.11.)