De helaasheid der dingen (Die Beschissenheit der Dinge) von Felix van Groeningen. Belgien, 2009. Kenneth Vandaeden, Valentijn Dhaenens, Koen de Graeve, Wouter Hendrickx, Johan Heldenbergh, Bert Haelvoet, Gilda de Bal

   Was für ein Filmtitel! So ein Titel kann einfach nur aus Belgien kommen, und solch ein Film kann auch nur von Belgien handeln, und wer das Unglück hat, in Belgien aufgewachsen worden zu sein, der wird sich mit dem Film womöglich noch ganz anders identifizieren können als unsereiner, der dem grotesken Geschehen mit einer Mischung aus Abscheu, Mitleid und Erleichterung folgt – Erleichterung darüber, dass man selbst nicht das Schicksal jener Unglücklichen teilen muss, auch wenn in diesem unserem Lande weißgott nicht alles Gold ist.

   Gunther aber ist einer jener Unglücklichen, und er hat wirklich die volle Breitseite abgekriegt. Nach der Flucht seiner Mutter haust er zusammen mit seinem Vater und dessen drei Brüdern bei der Oma, die sich krumm legt für ihre Söhne, allesamt debile Säufer und Loser, die nur noch von Gelage zu Gelage denken können und denen ansonsten alles herzlich egal ist, Gunthers Zukunft inbegriffen. Als ihn Paps kurz vor dem Totalabsturz und dem folgenden Entzug noch schnell ins Internat schiebt, ist das vermutlich die erste annähernd verantwortungsvolle Entscheidung seines Lebens, dennoch hat es Gunther schwer, draußen im wirklichen Leben Fuß zu fassen. Er versucht sich später als Schriftsteller, zunächst erfolglos, dann aber kann er doch einen Roman an den Verlag bringen, und er wird unfreiwillig Vater, lässt die Mutter zwar zunächst sitzen, nimmt später aber dann doch noch die Vaterschaft an und kümmert sich, auch wenn er nicht bei der Mutter lebt, sondern mittlerweile seine Traumfrau gefunden hat, wie er der dementen alten Oma im Heim erzählt.

 

   So springt die Erzählung hin und her zwischen heute und den späten Achtzigern, den wüsten Ausschweifungen der vier Strobbe-Brüder, über die man nur kurze Zeit lachen kann, bis sich nämlich die Trostlosigkeit und das elend ihrer Existenz in vollem Umfang mitgeteilt hat. Natürlich geht der Film hier sehr drastisch in die Vollen, präsentiert uns eine Freakshow total abgefuckter, widerwärtiger Alkis, die absolut null Alltagstauglichkeit oder soziale Kompetenz besitzen, deren Lebenssinn allein darin besteht, Omas hart erschuftetes Geld in endlosen Wettsauforgien oder im Glücksspiel zu verprassen, und die den Ruf der Familie höchstens in aufsehenerregenden Nacktrennen oder Schlägereien zementieren. Ziemlich schnell kapiert man, dass diese Kindheit nicht lustig ist, sondern furchtbar, und irgendwie kriegt der Film dann auch die Kurve. In der Mitte hängt er ein wenig, und ich für meinen Teil war es irgendwann leid, mir die hochprozentigen Exzesse der Strobbe-Gang anzuschauen, je mehr aber Gunthers Perspektive ins Spiel kommt, auch die des zurückblickenden erwachsenen Mannes, desto mehr wird aus der Freakshow eine zwar extreme, aber keineswegs unsensible Familiengeschichte, die den Zuschauer hin- und herreißt, ihn durchschüttelt, die mal erschütternd komisch und auch wieder erschütternd traurig ist, und die am Ende hauptsächlich Opfer zurücklässt. Die Oma hat sich endgültig kaputt geschuftet und landet im Heim, nachdem sie vom Wahnsinn ihrer Söhne fast zerrieben wurde, Gunthers Vater ist tot, die überlebenden Brüder sind nur noch Schatten ihrer selbst, weiterhin laut und vulgär, aber im Grunde nur noch klägliche Abziehbilder ausgelaugter alter Trinker. Gunther selbst braucht jahrelang, um einen eigenen Weg zu finden, und das Schreiben wird für ihn ganz klar einen therapeutischen Zweck erfüllen, und auch wenn er Mist baut und im ersten Reflex abhaut, wo er bleiben und Verantwortung übernehmen sollte, kann er später darüber nachdenken und sich zumindest halbwegs korrigieren. Auch das Verhältnis zum Vater und den Onkeln durchläuft einen Wandel: War er als Junge zuerst noch begeistert von den unkonventionellen Typen, hat er streng solidarisch die Familienehre gegen alle Spießer verteidigt, so erlebt er später mit wachsendem Schrecken, wie die Dinge aus den Fugen geraten und spürt, dass er dringend weg muss, um sein eigenes Leben zu retten. Der erwachsene Gunther schließlich blickt zurück nicht nur im Zorn, sondern durchaus auch mit Zuneigung, und diese beiden Gefühle teilen sich auch beim Zuschauen mit. Auf jeden Fall ist dies keine seicht nostalgische Hymne auf die  80er, sondern durchaus eine komplexere Sache, die die Brüche und Abgründe hinter der feucht-fröhlichen Fassade der Vokuhila-Sippe sichtbar und fühlbar macht. Auch wenn mir das Hinsehen wirklich nicht immer Spaß gemacht hat, finde ich den Film auf seine Art ganz gelungen, weil sich die Gesichter und die Bilder stark einprägen. Nur möchte ich eigentlich doch mal einen Film sehen, der mein Belgien-Bild revidiert und zurück in gesundere Bahnen lenkt. (26.5.)