Die friseuse von Doris Dörrie. BRD, 2010. Gabriela Maria Schmeide, Natascha Lawiczus, Christina Große, Ill-Young Kim, Maria Happel, Maren Kroymann, Rolf Zacher, Jördis Triebel

   Die Ballade der Kathi König aus Berlin-Marzahn, gelernte Friseuse, frisch getrennt, allein mit der Tochter zurück im Plattenghetto, auf der Suche nach einer Zukunft. Da steht nun inmitten all der Hartz-IV-Blocks eine neue Shopping Mall, Symbol des siegreichen Totalkapitalismus’, heißt „Eastgate“ oder so, da gibt’s eine Frisierstube, doch denen ist die Kathi nicht „ästhetisch“ genug, denn die Kathi hat ein paar Pfunde zuviel auf den Rippen. Gleich vis-à-vis muss ein Chinaimbiss schließen, und die Kathi sieht ihre Chance, einen eigenen Laden aufzumachen, und von ihren Abenteuern, ihren Irrwegen, Siegen und Niederlagen auf dem Weg dorthin erzählt dieser Film.

   Ein Film, der zugegeben sehr viel besser ist, als ich angenommen hatte, denn dies ist ganz und gar nicht nur eine schlichte, gut gemeinte, politisch korrekte Sozialromanze oder meinetwegen –komödie. Zum Teil ist er das schon, aber er ist auch noch mehr, er ist auf seine verschmitzte und unverblümte Art eine ziemlich treffende Zustandsbeschreibung der Republik, so wie man sie nebenan im Regierungsviertel bestimmt nicht gern vor Augen hat. Der ständige Spagat zwischen groteskem Konsumversprechen in anonymen Malls und der tristen Lebenswirklichkeit in ebenso anonymen Sozialbauwüsten, die demütigenden Gänge zur einschlägigen Behörde, der dortige Bürokratenterror, alles ganz normaler Alltag für Millionen Leute. Dazu kommen größere und kleinere Ganoven, Menschenschlepper, Geschäftemacher und Betrüger, die aus der Lage irgendwie ihren Profit abziehen wollen. Dörrie hat daraus kein Lamento gemacht, wedelt nicht mit großen Plakaten, verbreitet keine feierlichen Botschaften, sie bleibt ziemlich erdverbunden, benutzt trockenen Witz, behandelt auch ihre Kathi mit liebevoller, jederzeit solidarischer Ironie, zeigt einen sehr präzisen und unbestechlichen Blick für menschliches Miteinander zwischen Krise, Lüge und Hoffnung, und findet vor allem fantastische Bilder, die zwischendurch ganz einfach mal vom Leben in der BRD heute erzählen, ganz ohne Worte, nur unterlegt von lakonischen, täuschend gemütlichen Tubaklängen. Das hat mich fast am meisten beeindruckt, diese Impressionen runter vom Balkon, drauf auf die monströsen Plattenfassaden, Bilder aus der U-Bahn, der Shopping Mall, der Arbeitsagentur, der deutsch-polnischen Grenze mit den vielen „Frisiersalons“, den Illegalen aus Vietnam und ihrer Bereitschaft, einfach alles zu tun, um im gelobten Land zu bleiben. Mal wird’s ziemlich komisch, mal auch ziemlich traurig, und zwischen diesen beiden Polen findet Dörrie immer ihren Ton, wenn sie noch einen Schicksalsschlag, noch ein Hindernis für die Kathi aus dem Hut zaubert. Drehbuch und Regie sind hervorragend aufeinander abgestimmt, der Rhythmus passt einfach, lediglich die Episode mit den Vietnamesen im letzten Drittel ist vielleicht ein Stückchen zu lang ausgefallen. Die Geschichte ist bevölkert von starken Typen, und Gabriela Maria Schmeide liefert natürlich eine grandiose Show ab, lässt es mit Genuss auch mal ein wenig krachen, übertreibt aber nie wirklich, sondern bleibt immer Mensch, und Dörries Blick auf diese Figur und ihren gewaltigen Körper sorgt auch im Publikum immer wieder für überraschte Reaktionen. Der Grat zum Voyeurismus, zur Denunziation ist sehr schmal, Dörrie aber bewegt sich sicher und souverän auf diesem Seil, versichert sich und uns stets der Liebe und uneingeschränkten Solidarität zur Kathi.

 

   Nach dem Kirschblütenfilm hat mich die Dörrie wieder angenehm überrascht, hat all die vielen Fallen in Richtung platter deutscher „Comedy“ locker umschifft (nix mit Cindy aus Marzahn oder so...), hat nicht mehr oder weniger als eine Geschichte von Menschen in unserer schönen Republik heute erzählt, und das solch eine Geschichte hoffnungsvoll enden muss, das versteht sich wohl von selbst. (6.4.)