Die kommenden Tage von Lars Kraume. BRD, 2010. Bernadette Heerwagen, August Diehl, Johanna Wokalek, Daniel Brühl, Vincent Redetzki, Susanne Lothar, Ernst Stötzner, Mehdi Nebbou

   Noch eine Art Untergangsvision, diesmal aber eine, die mir sehr viel näher ist, die auch sehr unmittelbar an das Hier und Jetzt anschließt und nicht mal besonders drastisch oder irgendwie übertrieben zu sein scheint, angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre. Zugleich ist dies für einen deutschen Film ein höchst seltener, und vor allem einer, der sich mal was traut, und so was ist mir prinzipiell schon mal sympathisch.

   Aus vielen unterschiedlichen Zutaten ist diese Geschichte gestrickt, und was auf den ersten Blick schon mal nicht so recht zusammengehen will, ergibt auch real eine ziemlich abenteuerliche Mischung, aber eben auch eine sehr spannende Mischung. Mal bürgerliches Familiendrama, mal eine Geschichte verpasster und ersehnter Liebe, mal Terroristenfarce, mal kritische Parabel auf den Fortgang des Abendlandes. Zwischen 2012 und 2020 trägt es sich zu, dass der 4. Golfkrieg stattfindet, der Endkampf um die lebenswichtigen Bodenschätze, der auch die Gesellschaften der sogenannten Industrieländer spaltet, denn der Widerstand gegen die Politik der Herrschenden wird wütender, radikaler. In den Städten kommen die Guerillas wieder, so auch in Berlin, wo die Trennlinie mitten durch die Familie Kuper führt, denn während Paps fleißig Geschäfte mit den miesen Konzernen macht, schlägt sich die ältere Tochter Cecilia gemeinsam mit ihrem Freund Konstantin auf die Seite der Bombenleger, und die jüngere Laura träumt von Kindern und einer Familie. Sie verliebt sich in den Anwalt Hans, der aber angesichts der zu erwartenden Katastrophe lieber aussteigen und in den Alpen Vögel beobachten will. Die sehr wechselvolle Geschichte dieser Hauptfiguren durchläuft einige Wendungen und Entwicklungen, während sich zeitgleich die politische und gesellschaftliche Szenerie dramatisch verdunkelt. Die europäischen Länder schotten sich in großem Stil ab, errichten am südlichen Alpenrand eine Trennwand, um die vielen Emigranten aus den südlichen Entwicklungsländern fernzuhalten. Dies wird im kleinen in den Städten nachvollzogen, wo die selbsternannte bessere Gesellschaft unter sich bleiben will und zu diesem Zwecke ebenfalls Zäune um ihre Vergnügungsstätten zieht. Die Ökologie bricht mehr und mehr zusammen, Lebensmittel werden knapp, die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert sich drastisch, in den Städten wachsen Zeltlager aus dem Boden, die Straßen werden überfüllt, Angst und Aggression wachsen spürbar. Es kommt zu ersten Sabotageakten gewalttätigen Demos, Bombenattentaten, und durch Cecilia und Konstantin lernen wir die Terroristen kennen, ein abstoßend versnobter, kaltschnäuziger Haufen Salonlöwen mit Radikalchic und wahllos ungerichtetem Hass auf alles mögliche. Dass sich Laura ausgerechnet mit dem zynischen Konstantin einlässt, weil sie mit Hans keine Kinder zeugen kann, ist eine der gewagteren Wendungen des Skripts, die  scheinbar nötig sind, um ein ebenfalls gewagtes, weil überzogenes Finish in den Bergen einzuleiten, wenn der verfolgte und als Aktivist gescheiterte Konstantin mit Gewalt versucht, sich Frau und Kind anzueignen und vergisst, dass afrikanische Kindersoldaten effektivere Killer sind, als er sich das in seinem bürgerlichen Hirn je hätte vorstellen können. Das alles ist ein bisschen wüst, aber auch spannend und mit viel Schwung inszeniert, wie Kraume überhaupt vor großen Bildern und Gefühlen nicht zurückschreckt, andererseits aber nie in pure Sensationslust verfällt, sondern in erster Linie bei den Menschen bleibt und dabei, was der allgemeine Verfall der Humanität auch in privatem Kreise bewirkt. Das Motiv der Industrieländer, die sich in Panik abzuriegeln versuchen vor den drohenden Horden aus der Dritten Welt ist nicht neu, wird dafür aber immer realer, ebenso wie der verbissene und völlig rücksichtslose Kampf um Rohstoffe und die Versuche, doch noch auf den letzten Drücker alternativ Energien nach vorn zu bringen, weil man schon ahnt, dass die Zeit fossiler Brennstoffe irgendwann bald vorbei sein wird. Die Radikalisierung und wachende Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten war ebenfalls bei uns in jüngster Vergangenheit zu besichtigen, und die weitreichenden Verflechtungen auf dem Terrain der Großfinanz waren schon Gegenstand vieler Filme. Es gelingt Kraume sehr gut, die beiden Ebenen, die öffentliche mit der privaten zu verknüpfen, die Wechselwirkungen deutlich zu machen, und zu zeigen, wie eine Gesellschaft sowohl öffentlich als auch privat, auseinander bricht, weil Egoismus, Angst, Misstrauen und schließlich auch Hass die Oberhand gewinnen. Zwischendurch gibt es aber auch Gesten der Zuneigung und Versöhnung, auch am Ende, das gleichwohl in einer bedrohlichen Schwebe verharrt, wird klar, dass Laura nicht noch einmal den Fehler machen und ihre Gefühle verleugnen wird, sodass Kraume gegen Kälte und Trennung diese anderen Werte setzt und Wert auf die Feststellung legt, dass sich diese Werte noch immer leben lassen. Ein Stück Utopie ist halt immer mit im Spiel, mag die Analyse ansonsten auch noch so grimmig ausfallen, und genau wie einen Film weiter oben ist sie auch hier nötig.

 

   Kein Film ohne Schwächen zweifellos, aber trotz dem ein interessanterer und anregenderer Film als viele andere aus deutschen Landen. Kraume hat seine großen Bilder mit Tiefgang unterfüttert, und ich finde, er hat das alles in allem sehr überzeugend hingekriegt. Dafür kann er sich zu einem großen Teil wohl auch bei den brillant aufspielenden Darstellern bedanken, vor allem Bernadette Heerwagen ist atemberaubend gut als Laura, und vielleicht kommt diese vorzügliche, aber bislang eher wenig wahrgenommene Schauspielerin hierzulande endlich mal angemessen zur Geltung. Alles in allem tolles, großes Kino aus Teutschland, Kino für Kopf und Hirn, Kino, das was traut, wie gesagt. Mehr davon! (4.11.)