Mapa de los sonidos de Tokio (Eine Karte der Klänge von Tokio) von Isabelle Coixet. Spanien, 2009. Rinko Kikuchi, Sergi López, Min Tanaka, Manabu Oshio, Takeo Nakahara
So eigenwillig wie der Titel ist auch dieser neue Film von Isabelle Coixet, die sich stilistisch wie inhaltlich treu bleibt, weiterhin dunkle, sperrige, sinnliche Geschichten erzählt, die in vielen Variationen von der Liebe handeln. Allein „Elegy“ war für meinen Geschmack eher misslungen, doch mit ihrem Tokiofilm hat sie wieder zur alten Form zurückgefunden.
Die Geschichte der jungen Ryo, die auf dem Fischmarkt von Tokio arbeitet, ganz für sich lebt, einzig einen alten Toningenieur zum Freund hat und außerdem ein Geheimnis hütet, sie nimmt nämlich Aufträge als Killerin an, die sie kühlt und effizient erledigt, um nachher die Gräber ihrer Opfer zu pflegen. Über ihren neuesten Auftrag aber stolpert sie – sie soll den spanischen Weinhändler David töten, der angeblich verantwortlich ist für den Selbstmord der Tochter eines Geschäftsmannes. Die beiden beginnen einen intensive sexuelle Beziehung, doch Ryo leidet mehr und mehr darunter, dass David seine tote Freundin vermisst und sie vielleicht nur als einen Ersatz sieht, denn er bittet sie, auf die gleichen Spiele einzugehen, die einst er und Midori spielten. Als David erkennt, welche Verletzung er Ryo zufügt, beschließt er, zurück nach Spanien zu kehren. Ryo rettet ihm das Leben, opfert sich für ihn, als der Juniorpartner des Auftragsgebers selbst zur Waffe greift und auf die beiden schießt. David nimmt die japanische Kultur mit nach Barcelona, indem er in seinem dort eröffneten Laden regelmäßige Sake-Verkostungen veranstaltet.
Diese Geschichte ist in vieler Hinsicht vorhersagbar und hätte meiner Meinung nach um einige Nebenhandlungen gekürzt, ganz auf ihren Kern konzentriert werden können, denn der hat es wirklich in sich. Die erotischen Begegnungen der beiden in einem Lovehotel sind ebenso faszinierend wie die Person Ryos, die durch Rinko Kikuchi eine adäquat faszinierende Darstellerin gefunden hat. Ich hätte gern auf den ganzen Auftragskillerkram verzichtet, der natürlich nur ein Mechanismus ist, um die beiden Protagonisten zusammenzuführen, doch da hätte es auch andere Möglichkeiten gegeben, und eigentlich hätte es gar keiner Kunstgriffe bedurft. Das wäre kein Problem gewesen, denn Coixets Konzept, einen im wahrsten Sinne des Wortes sinnlichen Film zu machen, überzeugt auch so. Dunkle, elegante Bilder, ein weich fließender Rhythmus, eine hypnotische Verknüpfung von Klängen, Farben, Bildern, machen diesen Film an sich so attraktiv, dass er meinetwegen ganz ohne alle oberflächlichen Dramen ausgekommen wäre. Die beiden Hauptdarsteller sind toll, die erotischen Szenen sind toll, und die Wahrnehmung des Molochs Tokio als eine paradoxe Welt, die ständig zwischen hypermodern und traditionsverhaftet, zwischen atemlos, grell, obszön (man denke nur an das Restaurant, in dem die Mahlzeiten auf nackten Frauenkörpern aufgetischt werden oder an die grotesken Lovehotels) und kontemplativ pendelt, ist eindrucksvoll und ganz persönlich, denn Coixets Blick schwankt selbst zwischen Anziehung und Abstoßung, Neugier und Unbehagen, stets aber mit der Bereitschaft, sich auf alles einzulassen, und genau diese Offenheit bringt sie auch ihren Figuren entgegen.
All dies macht zusammengenommen einen höchst attraktiven Film aus, der sich sicherlich ein gutes Stück abseits des Mainstream bewegt, auch abseits gewohnter Liebesgeschichten, aber da ist Coixet glücklicherweise immer schon ihren eigenen Weg gegangen, und zeigt sich auch hier fest entschlossen, diesen Weg fortzusetzen, wobei man ja nie genau weiß, wohin er weiter führen wird (und der wie gesagt von Irrtümern auch nicht frei ist), und so kann man jeden ihrer neuen Filme mit der gleichen Neugier und Abenteuerlust erwarten, wie sie selbst ihn vermutlich gedreht hat. Leider sind ja nur sehr wenige Regisseurinnen mit einem wirklich eigenen Stil am Werk, und Coixet gehört zu den interessantesten unter ihnen, und hoffentlich bleibt das auch so. (26.8.)