Gainsbourg (Vie heroïque) (Gainsbourg – der Mann, der die Frauen liebte) von Joann Sfar. Frankreich, 2010. Eric Elmosnino, Lucy Gordon, Kacey Mottet Klein, Doug Jones, Lucy Gordon, Laetitia Casta, Razvan Vasilescu, Dinara Drukarowa, Anna Mouglalis
Tja, die Franzposen lieben sich selbst und ihre Helden, am liebsten natürlich die etwas kontroversen, und so sind die letzten Jahre randvoll mit üppigen, zur Hälfte sogar ganz gelungenen Biopics, sei es über die Piaf, die Chanel, die Sagan (um nur die ganz aktuellen zu erwähnen), und nun also M. Ginsburg, das Enfant Terrible der französischen Kulturszene spätestens seit der klassischen Duettstöhnerei mit Jane Birkin anno 69, der sein Image immer wieder bestätigte, beispielsweise durch die aufreizend lässige und respektlose Reggaeversion der Marseillaise anno 79. Gefeiert und verachtet, bewundert und verschrien, umstritten also in jedem Sinne des Wortes, und natürlich deshalb und aufgrund seiner überaus farbigen und skandalträchtigen Biographie eine prachtvolle Vorlage für ein saftiges Stückchen Kino.
Über die Umsetzung kann man nun genauso uneinig sein wie über den Herrn selbst: „Das kommt davon, wenn man einen Comiczeichner einen Film machen lässt,“ grummelte mein Begleiter beim Rausgehen. Genau das finde ich auch, nur verstehe ich das in diesem Fall positiv, denn der Comiczeichner Joann Sfar hat vor allem im ersten Teil einen sehr originellen und visuell einfallsreichen Weg gefunden, sich Gainsbourg, wie auch immer, anzunähern, oder zumindest zu versuchen, sein Leben auf seine Weise nachzuempfinden. Von der Kindheit in jüdischem Elternhaus im nazibesetzten Frankreich über die Anfänge in der Pariser Bohème der 50er, die ersten Erfolge und prestigeträchtigen Eroberungen der 60er bis hin zum ruinösen Exzess des unmäßigen Konsumenten von Alkohol und Nikotin, der fast zwangsläufig zum Herztod mit knapp 63 Jahren führen sollte. Ein paar Motive sind Sfar dabei besonders wichtig: Die jüdische Herkunft, das ewige Hadern mit der hässlichen Physiognomie, die Kompensation durch unmäßigen Frauenkonsum, das narzisstische Selbstbild, die Liebe zur Provokation. Die Darstellung dieser verschiedenen Themen ist ihm unterschiedlich gut geglückt, aber vor allem die erste halbe, dreiviertel Stunde ist wunderbar, sehr orginell, witzig und gefühlvoll. Die Szenen aus Ginsburgs Kindheit und Jugend haben truffautschen Charme und eine gewisse Frechheit, die perfekt zu, Gegenstand passen. Der forsche Bengel, bereits in frühester Jugend nur noch mit Glimmstängel im Maul anzutreffen, zeigt bereits jene Neugier, Respektlosigkeit und erotomanische Neigung, die auch den späteren Gainsbourg kennzeichnet, und wie er sich als selbstbewusster jüdischer Knabe durch die Nazizeit schlägt – durchaus nicht ohne Not und Bedrängnis – wird sehr schön geschildert. Besonders sein unglücksseliges und zweigespaltenes Verhältnis zu seiner „Fresse“, die ihn überdimensioniert und gänzlich indiskret überall hin verfolgt, mal Mut machend, mal kompromittierend, mal höhnisch einflüsternd, ist eine Show für sich, und glücklicherweise konnte Sfar für die Rolle der Fresse Doug Jones besetzen, dessen einzigartige Körpersprache beispielsweise auch del Toros „Pans Labyrinth“ stark prägt. Leider tritt diese Figur mit zunehmender Filmdauer mehr und mehr in den Hintergrund, wie allgemein der Spaß deutlich nachlässt, wenn erst mal die legendären Liebschaften die Bühne betreten – Gréco, Gall, Bardot oder eben Birkin – und Sfar mehr und mehr jene Mythen und Skandale bedient, die mit dem Namen Gainsbourgs verbunden sind. Das führt dazu, dass das letzte Drittel des Films ein wenig ausfranst und nicht mehr so intensiv und unkonventionell geworden ist, sondern sich nun im Rahmen gängiger Biopics bewegt. Zudem wird Gainsbourgs künstlerischer und privater Werdegang nur noch recht lückenhaft bearbeitet, und wer damit nicht so gut Bescheid weiß (wie ich zum Beispiel), wird viele der kurzen Hinweise und Motive nicht recht einordnen können. Hätte Sfar seinen Stil der ersten Phase durchgehalten, wäre womöglich ein Meisterwerk entstanden, so ist ihm immer noch ein durchweg unterhaltsamer Film gelungen, der mit einem verblüffend authentisch wirkenden Hauptdarsteller und vielen eigenwilligen Einfällen glänzt, und mit dem Sfar einem offensichtlichen Idol ein flamboyantes und angemessen extravagantes Denkmal gesetzt hat. Schön auch die Mischung aus offener Hommage und immer wieder durchbrechendem, liebevoll satirischem Humor, auch in der Betrachtung des französischen Kulturbetriebs (Claude Chabrol hat hier eine letzte hübsche kleine Rolle). Kein Film wie jeder andere auf jeden Fall, über einen, der ja auch nicht wie jeder andere war. (9.11.)