You will meet a tall dark stranger (Ich sehe den Mann deiner Träume) von Woody Allen. USA/Spanien, 2010. Naomi Watts, Josh Brolin, Gemma Jones, Anthony Hopkins, Freida Pinto, Lucy Punch, Antonio Banderas, Anna Friel, Pauline Collins
Woody Allen ist gerade vor einer Woche 75 geworden (Happy Birthday indeed!) und nur deshalb längst schon über den Punkt hinaus, wo man anderen irgendetwas beweisen müsste, höchstens noch sich selbst, aber genau das tut er ja – er macht sein Ding, vollkommen ungeachtet der Zeitläufte, der aktuellen Mode, der kommerziellen Trends, auf all das pfeift er, take it or leave it. Die einen sehen darin den Beweis seiner Einzigartigkeit und künstlerischen Autonomie, anderen ist er eher ein hoffnungslos altmodischer Schwatzkopf, über den die Zeitlängst hinweg gegangen ist. Vielleicht hat’s von beidem etwas, ich mag ihn jedenfalls seit eh und je, und auch diverse flaue und arg belanglose Filmchen im Lauf der Jahrzehnte haben nichts daran geändert. Das heißt eben auch, dass ich mir seine neuen Filme nach wie vor ansehe, obwohl (oder gerade weil?) ich weitgehend voraussehe, was mich erwartet. Manchmal erzeugt diese Vertrautheit ja auch ein angenehm behagliches Gefühl.
Und jetzt haben wir uns auch alle daran gewöhnt, dass New York als Zentrum der Woodywelt ausgedient hat. Diesmal ist wieder London dran, zum dritten oder vierten Mal mindestens, und wieder trifft uns die Erkenntnis, dass die Kulturschickeria auf der ganzen Welt ähnlich aussieht, in ähnlich schicken Häusern wohnt, ähnlich schicke Autos fährt und offenbar auch ähnlich schicke Probleme hat, also ist es piepegal, ob sie nun links oder rechts fahren, irgendwie ist man gleich wieder zuhause bei Woody und seinem Personal. Eine Erzählerstimme im Off kommentiert in leicht sardonischem Tonfall einige Tage im Leben einer Handvoll Londoner zwischen Ehekrise, Trennung, Neuanfang, Schaffenskrise, unerwiderter Liebe und dergleichen. Der Humor ist verschmitzt, aber im Grundtenor eher melancholisch, die funkelnde Satire der 70er ist längst passé, aber Dialoge schreiben kann er immer noch, auch wenn ruhig der eine oder andere Gag mehr hätte eingebaut werden können. Die zunehmende Frustration der Mittvierziger oder auch Mittsiebziger, die sich mit allen Mitteln zu trösten versuchen (Alkohol, die Nachbarin von gegenüber, der neue Chef oder Wahrsagerei und Mystizismus), überträgt sich doch ein wenig aufs Publikum, zumal Woody Allen diesmal scheinbar auch nicht daran interessiert war, am Ende alle losen Fäden zusammenzuschnüren und ein harmonisches Finale zu konstruieren. Im Gegenteil, fast alle Lebenswege bleiben offen, ungewiss, selten aber besonders optimistisch in der Perspektive, viele stehen vor einem Neuanfang, der aber unter keinen allzu guten Stern steht.
Allzu große Trübsal stellt sich natürlich nicht ein, der Ton ist bei alledem noch immer leicht und ironisch, Vilmos Zsigmonds Londonbilder leuchten gewohnt edel und exquisit, und dann ist natürlich einmal mehr eine Darstellercrew allererster Güte und Attraktivität versammelt, die allein das Hingehen allemal lohnt. Wenn man Stars sieht wie Naomi Watts oder Anthony Hopkins, glaubt man gar nicht, dass die tatsächlich zum ersten Mal für Allen vor der Kamera stehen, denn sie spielen so souverän und locker, als hätten sie’s schon ewig getan. Sowieso spielen die Leute bei Woody Allen immer anders als sonst, selbst als Schauspielerregisseur hat der Mann seine ganz eigene Handschrift.
Also – wenn man ihn mag, wird man auch diese neue Ausgabe mögen. Sie ist angenehm luftig und schmackhaft, liegt nicht schwer im Magen und wird sich auch nicht lang im Gedächtnis einnisten. Dafür bietet sie geistreiche Unterhaltung auf hohem Niveau (künstlerisch sowieso), und überhaupt: Solange der Woody noch Filme macht, bin ich dankbar dafür, auch wenn ich den ganz großen Wurf wohl nicht mehr erwarten werde. (7.12.)