El secreto de sus ojos (In ihren Augen) von Juan José Campanella. Argentinien/Spanien, 2009. Ricardo Darín, Soledad Villamil, Guillermo Francella, Pablo Rago, Javier Godino 

   Immer mal wieder habe ich mein Glück mit südamerikanischen, speziell argentinischen Filmen versucht, und allzu selten nur war das eine wirklich gute Erfahrung. Ein paar starke Politdramen, na klar, aber eben auch sehr viel sperriges, schräges, unzugängliches Zeug, hochgelobt im Feuilleton, mit dem ich persönlich überhaupt nicht zurecht kam. Entsprechend zurückhaltend bin ich in den letzten Jahren geworden, gehe Filmen aus dieser Region tendenziell eher aus dem Wege (eine Ausnahme ist nur Brasilien), auch wenn ein grundsätzliches Interesse geblieben ist. Diesmal habe ich diesem Interesse mal wieder nachgegeben – gottseidank, kann ich nur sagen, denn dies ist wahrlich ein lohnenswerter Film, mehr noch, dies ist ein ganz großartiger Film und sicherlich einer der Filme des Jahres.

   Ein fünfundzwanzig Jahre zurückliegender Fall von Vergewaltigung und Mord lässt den nun pensionierten Kriminalbeamten Benjamín nicht los. Ein schreckliches Verbrechen an einer schönen jungen Frau, ein trauernder Witwer, dem Benjamín das Versprechen gibt, den Täter zu finden. Irene, eine junge Richterin, die Benjamín von fern liebt, ohne sich ihr erklären zu können. Ein dem Alkohol verfallener Kollege,  mit dem er den Fall bearbeitet. Ein Täter, der schließlich aufgestöbert, verhaftet und verurteilt wird. Ein diktatorisches Militärregime, das den Mörder auf freien Fuß setzt und ihn als Spitzel einsetzt. Eine vom Regime gedungene Mörderbande, die Benjamín mit dem Tode bedroht und seinen Kollegen an seiner statt erschießt. Und nun möchte Benjamín einen Roman über diesen Fall schreiben und zugleich mit seinem Leben aufräumen. Indem er sich aber jene Zeit Mitte der Siebziger noch einmal vergegenwärtigt, stellt er gleichzeitig die Weichen für die eigene Zukunft, und es gelingt ihm endlich, letzte Gewissheiten zu erlangen und bislang Unerledigtes zu erledigen.

   Mit fantastischer Eleganz gleitet die Geschichte zwei Stunden klang zwischen Liebes- und Krimidrama hin und her, abwechselnd geprägt von spielerischer Erotik, zarter Melancholie und auch abgründiger Grausamkeit. Einen deutlichen Ruck in Richtung Zeitgeschichte und Politik gibt’s, als Benjamín und Irene ohnmächtig, hilflos den Schergen des neuen Terrors gegenüberstehen, die nun an der Macht sind und die letzten Spuren von Redlichkeit tilgen. Der infame Mörder wird zum Jäger, der über seine Gegner von einst triumphiert und sie offen bedrohen darf. Parallel dazu wird der Ehemann der grausam ermordeten Frau seinen Plan zur Selbstjustiz in die Tat umsetzen, doch wird Benjamín erst fünfundzwanzig Jahre später dahinter kommen und auch dann nicht mehr eingreifen wollen. Seine von Anfang an unausgesprochene, ungelebte Liebe zu Irene prägt den Film ebenso wie seine hinreißend witzigen Verbalduette mit Pablo, seinem Kollegen und die Dauerflirts mit der schönen, aber auch unnahbaren und etwas hochmütigen Richterin, einer Frau aus höheren Gesellschaftskreisen, die eben deshalb unerreichbar für den Mann aus einfacheren Verhältnissen ist. Bei aller Ruhe und Ausgeglichenheit der sanft dahinschwebenden Inszenierung lebt der Film so von Anfang an von den Schattierungen und Kontrasten, von seiner faszinierend dichten, suggestiven Atmosphäre, von den Wechseln zwischen Humor und tiefem Ernst. Die Geschichte bewegt sich anstrengungslos zwischen den Zeitebenen, es gibt keine Sprünge, vielmehr ein weiches Hin- und Hergleiten, die wunderbar komponierten, samtig dunklen Bilder illustrieren die verschlungenen Weg der Hauptfiguren durch die Stadt Buenos Aires zwischen der Diktatur der 70er und den liberaleren Zeiten späterer Jahre. Integriert werden dabei Elemente des Film Noir ebenso wie des klassischen Melodramas, wobei durchaus Stereotypen und Versatzstücke der Genres bewusst verwendet und miteinander in Beziehung gebracht werden. Sehr beeindruckend dabei ist, wie gekonnt der Autor/Regisseur die dunkle Spannung bis zuletzt aufrecht erhält und langsam steigert, weil man immer ahnt, dass die Geschichte noch nicht vorüber ist, dass da noch etwas kommen muss.

 

   Ein grandios getimtes Drehbuch, ein starkes Schauspielerensemble und eine Inszenierung, die vor allem die zwischenmenschlichen Momente brillant ausspielt und einige Momente tatsächlich unvergesslich macht,  ergeben zusammen ein besonderes Filmerlebnis, das man sich wirklich nicht entgehen lassen sollte. Selten nur sehe ich mal einen Film, der mich so intensiv bewegt, fasziniert und mich für zwei Stunden so vollständig absorbiert. Ganz große Klasse ! (2.11.)