The lovely bones (In meinem Himmel) von Peter Jackson. USA, 2009. Saoirse Ronan, Mark Wahlberg, Rachel Weisz, Stanley Tucci, Rose McIver, Susan Sarandon, Michael Imperioli
„Ich war vierzehn, als ich ermordet wurde.“ Mitten in den unbeschwert dahinplappernden Mädchenmonolog Susie Salmons platzt urplötzlich dieser Satz, der nicht nur den Fortgang der begonnenen Familiengeschichte nachhaltig in Frage stellt, der nicht nur Schlimmes ahnen lässt für die kommenden Filmminuten, der in seiner erschreckend deplazierten Nüchternheit auch schon darauf hindeutet, dass es hier im weiteren eigentlich nicht in erster Linie um ein Verbrechen geht, sondern eher um die Situation der Betroffenen. Susie wird Opfer eines grausamen Verbrechens, bevor sie sich auch nur den geringsten ihrer Mädchenträume erfüllen konnte, und nicht zuletzt deshalb landet sie nicht direkt im Himmel, sondern in einer Zwischenzone für diejenigen, die noch nicht haben loslassen können. Loslassen können auch nicht ihre Eltern, vor allem der verzweifelte Vater versucht mit allen Mitteln, einen Täter zu finden, auch auf die Gefahr, dass er sich und seine Familie in große Bedrängnis bringt. Tatsächlich stößt er aber doch auf den Täter, Mr. Harvey, einen unscheinbaren Nachbarn, der bereits eine ganze Reihe Mädchen missbraucht und getötet hat, ein triebhafter Sadist in Biedermanngestalt, dem auch Susies jüngere Schwester Lindsay auf die Schliche kommt. Sie ist es, die durch einen haarsträubend waghalsigen Einbruch in sein Haus das entscheidende Beweisstück sichern und damit das Ende der Ungewissheit und Ohnmacht herbeiführen kann. Susie und ihre Familie können sich endlich loslassen, sich von der Vergangenheit befreien und ihrer Wege gehen.
Es ist ziemlich offensichtlich, dass Peter Jackson und seine bewährten Co-Autorinnen Fran Walsh und Philippa Boyens das Potential des Romans bei weitem nicht in vollem Umfang ausgeschöpft haben und in ihrer Kinoversion ein gutes Stück hinter dem zurück bleiben, was vielleicht möglich gewesen wäre, nämlich eine wirklich tief gehende Reflektion über Verlust, Trauer, Loslassen und menschliche Bindungen. Ich bedaure das ausdrücklich, ebenso wie Jacksons notorischen Hang zur Oberflächlichkeit, der auch seine grandiose Tolkientrilogie kennzeichnet, und der ihn hier wie dort dazu verlockt hat, viel literarische Substanz links liegen zu lassen und sich lieber auf die Erschaffung einzigartiger Bilderwelten zu konzentrieren. Und so liegen diese Verlockungen auch hier klar zutage, die Ausmalung der Zwischenwelt, in der Susie landet, gemeinsam mit vielen anderen jungen Menschen, die lang vor der Zeit aus dem Leben gerissen wurden und sich nun aufmachen müssen, die Welt, in der sie so vieles nicht erleben durften (wie beispielsweise Susie den ersten, lang ersehnten Kuss), endgültig loszulassen und ganz in den Himmel zu kommen. Jackson und sein Kreativteam haben sich erwartungsgemäß ordentlich ausgetobt und für großartige Fantasygemälde gesorgt, und es wäre jetzt auch verfehlt, den Film durch die Bank flach zu nennen. In diesen traumähnlichen Gebilden zeigt sich schon Susies Versuch, ihre Erinnerungen zu verarbeiten, Familienszenen vor allem, sich an sie zu klammern, während sie sich doch unweigerlich immer weiter von ihnen entfernt. Auch das Drama, das die trauernde Familie Salmon durchzustehen hat, vor allem der Vater, der sich nicht damit abfinden kann und der sich zunehmend in eine selbstzerstörerische Obsession hineinsteigert, kommt durchaus in sehr einprägsamen Szenen zur Sprache, nur geht mit Jackson eben immer auch der kindlich begeisterte Geschichtenerzähler und Kreativkünstler durch.
Wer das akzeptiert hat, für den ist auch dieser neue Film ein sehr beeindruckendes Erlebnis. Jackson ist unübertroffen im Erzeugen eines hypnotischen und hochgradig emotionalen Spannungssogs, der auch zweieinviertel Stunden ohne Leerstellen problemlos durchhält und der hier kongenial unterstützt wird von den bewährt faszinierenden Bildern Andrew Lesnies und der brillanten Musik Brian Enos. Jackson psychologisiert eben ausschließlich visuell – und dabei sollte er auch bleiben, denn sobald das Drehbuch versucht literarisch zu werden (so wie in Susies Schlussmonolog), hört es sich gleich etwas steif und statisch an, während sonst das Miteinander der Personen auf höchst realistische Art zwischen zärtlich, angespannt, verzweifelt und erstarrt sehr konfliktreich pendelt, und nur Susan Sarandons schräge Oma mit einigen derberen Humoreinlagen gänzlich aus der Reihe fällt. Die Schauspieler spielen sämtlich wunderbar zusammen (Jackson ist als Schauspielerregisseur sowieso viel besser, als man denkt), das herbstlich-winterliche Milieu im ländlichen Pennsylvania der frühen 70er wird perfekt und detailliert nachempfunden, und die Mischung aus zartbitterer Poesie und finsterem Grusel geht einem schon ziemlich an die Nieren. Ganz abgesehen davon ist der Film zwischendurch auch schweinespannend, auch nicht zu verachten gelt?
In vieler Hinsicht ist dies also ein Film, an den ich mich lange erinnern werde, in erster Linie nicht einmal an den betörenden Bilderrausch aus Susies Zwischenwelt, sondern vor allem an die großartig gelungene Mischung aus Schönheit und Schmerz, Zärtlichkeit und Grausamkeit, Liebe und Wahnsinn. Jackson findet starke Bilder dafür, dass die Menschen einander nicht loslassen können, dass sie um jeden Preis den unerträglichen Verlust rückgängig machen und weiter leben wollen wie zuvor, dass sie aus Trauer und Sehnsucht fast zerbrechen, und dass sie wirklich eine besondere Stärke aufbringen müssen, um aus diesem Zustand wieder ins Leben zurückzufinden. All das ist drin in diesem Film, und wie gesagt, wenn Jackson darum nicht viele Worte machen muss, dann ist er ganz in seinem Element. (2.3.)