Jud Süß – Film ohne Gewissen von Oskar Roehler. BRD, 2010. Tobias Moretti, Mortiz Bleibtreu, Martina Gedeck, Justus von Dohnányi, Heribert Sasse, Armin Rohde, Milan Peschel, Paula Kalenberg, Martin Feifel, Anna Unterberger, Erika Maroszán, Ralf Bauer, Robert Stadlober, Gudrun Langrebe

   Ganz klar – ein Film, der polarisiert, der sowohl Zustimmung als auch extreme Ablehnung hervorrufen wird, der fasziniert oder auch abstößt, der als brillant oder total geschmacklos beurteilt wird, ein Film, der vielerlei Reaktionen erzeugen wird, der aber sicherlich kaum jemanden kalt lässt. Ein Film, wie ich ihn mag.

   Roehler ist sich selbst natürlich treu geblieben und hat folglich auch kein schwergängiges Historienstück à la „Der Untergang“ abgeliefert, kein finsteres Psychodrama sondern eher eine giftige Satire, eine schillernde, grelle, in vieler Hinsicht herausfordernde Farce im Gewand eines Melodrams, die Dany Levy deutlich näher steht als Oliver Hirschbiegel, und das allein hat mir schon gefallen: Ein anderer Blick auf die Nazihölle, der Mut, das Böse auch mal von einer anderen Seite zu zeigen, die nichts mit banal oder verharmlosend zu tun hat, denn mehr als einmal gefriert uns buchstäblich das Lachen des Entsetzens im Gesicht. Ein Film aber auch, der einige Vorkenntnis voraussetzt und die Bereitschaft, sich auf Stil und Tonfall einzulassen, denn wenn man das nicht tut, wird man sich vermutlich zwei Stunden lang gehörig ärgern und langweilen.

   Es geht um den berüchtigten und bis heute verbotenen antijüdischen Hetzfilm Veit Harlans, 1940 auf intensives Betreiben Goebbels’ entstanden, mehr noch um Ferdinand Marians Rolle und die Folgen für ihn und sein Leben. Die Ehe mit der ehemaligen Schauspielerin Maria, die eine Tochter aus erster Ehe mit einem jüdischen Regisseur hatte, wohl nicht nur deshalb deutlich auf Distanz zum Naziregime ging und später in einem KZ ermordet wurde. Die Freundschaft mit dem jüdischen Theaterkollegen Deutscher, dem er später immer wieder in bedeutungsvollen Umständen begegnen sollte, während des Krieges im Ghetto, nach dem Krieg bei den amerikanischen Besatzern in München. Die ersten Kontakte zu Goebbels, der sich ebenso hartnäckig wie eiskalt intrigant um Marian bemühte, denn er hatte sich bereits einige Absagen für die Rolle des Juden Süß eingehandelt (was man im Film leider nicht ausdrücklich erfährt) und suchte nun nach einem noch nicht so populären und gefestigten Schauspieler, den er mit dem nötigen Druck manipulieren und zwingen konnte. Marian macht Szenen, er weigert sich, lässt sich dann aber doch überrumpeln, macht genau wie seine berühmten Kollegen Heinrich George, Werner Krauss und anderen mit und feiert einen großen Erfolg, er ihn allerdings nicht mehr loslässt und ihn bis über den Krieg hinaus verfolgt. Seine Karriere steht im Schatten des Films, den er als seinen Fluch bezeichnet, bis er 1946 betrunken gegen einen Baum fährt.

   Das ist die Darstellung dieses Films, nicht in allen Details vollständig und korrekt, und natürlich ist auch die Frage, ob Marian sich tatsächlich lange weigerte, den Süß zu spielen, Gegenstand vieler Spekulationen, ebenso wie Harlans Darstellung, auch er sei gezwungen worden und könne nicht verantwortlich gemacht werden und sogar Werner Krauss’ Rechtfertigung, die in die gleiche Richtung geht. Unstrittig ist wahrscheinlich nur Goebbels’ Rolle als der Initiator des Projekts, das er brauchte, um den Antisemitismus in Deutschland publikumswirksam und spektakulär anzuheizen, so wie er das Medium Film von Anfang an voll für die Nazipropaganda zu nutzen verstand und ja auch bis unmittelbar vor Kriegsende noch nutzte. Moritz Bleibtreus Karikatur, die in einem sogenannten seriösen Historienfilm nie und nimmer akzeptabel wäre, ist ein Kernstück von Roehlers Konzept und zugleich seine griffigste Veranschaulichung: Das grelle, hemmungslos chargierende Zerrbild eines Monstrums, das natürlich nichts gemein hat mit der akademisch sorgfältigen Vereinnahmung durch einen Ulrich Matthes, ihm aber andererseits vielleicht noch eher gerecht wird. Man darf nicht den Fehler machen, Bleibtreus Eskapaden für ernsthafte Schauspielerei zu halten, für den Versuch, Goebels eins zu eins abzubilden, hier geht es um den Geist, um die Gesinnung, die abgrundtief perfide Mischung aus Faschismus, Rassismus und dem fast erotisch übersteigerten Allmachtswahn deutscher Herrenmenschen. Selten, finde ich, ist gerade diese Facette in ihrer erschreckenden Vulgarität so schön deutlich geworden wie hier. Auch an anderer Stelle provoziert Roehler durch Grimasse, durch das Spiel mit Klischees, mit Rassenstereotypen, und das geht so weit, dass er massiv Gefahr läuft, missverstanden zu werden. Etwa in der Ghettoszene oder der anschließenden Sequenz mit den jüdischen Komparsen am Filmset. Natürlich sind diese Figuren reine Stereotypen, die in jedem beliebigen Nazipropagandastreifen ihren Platz hätten, doch setzt Roehler sie ganz bewusst ein als Verweis auf die  Polemik der Nazis, testet damit zugleich unser eigenes Verhalten als Konsumenten und unsere Fähigkeit zur Differenzierung. Er verfremdet, verzerrt und zerrt dadurch dennoch einiges ans Licht, wodurch der Film streckenweise eine beträchtliche satirische Qualität erhält. So auch durch die bodenlose Hans-Moser-Travestie durch Johannes Silberschneider etwa oder die wiederholten, hübsch ätzenden Seitenhiebe auf den Herrn Rühmann und andere Mitläufer des Systems, die hier nie gezeigt werden, im Hintergrund aber immer schön mitschwingen. Stilistisch verfolgt Roehler ebenfalls eine klare Linie: Ausgebleichte Farben, die an die Ästhetik der alten Ufa-Filme erinnert, betont spartanische, theaterhaft steife Dekors und betont sparsamer Aufwand umgeben ein Figurentheater wahnwitziger Narren und einiger wirklich tragischer Figuren.

   Natürlich hat der Film Schwächen, deutliche sogar. Die Dramaturgie zerfranst im letzten Drittel, die Geschichte verliert etwas ihre Dichte und ihren Schmiss, Marians Irrweg durch die Jahre nach „Jud Süß“ bleibt zu schemenhaft und flüchtig, zuletzt verliert man ein wenig den Bezug zu den Personen. Und ein paar Schauspieler tun des Guten tatsächlich ein wenig zuviel, Armin Rohde etwa, der einen recht verunglückten Heinrich George gibt (ganz im Gegensatz übrigens zu Milan Peschels genial perfidem Werner Krauss), oder Gudrun Langrebe als Nazihure, aber die ging ja sowieso noch nie. Da ist Anna Unterberg als widerwärtig blondes Nazigift ungleich effektvoller und fieser, schön begleitet vom Stadlober, ganz ungewohnt in Naziuniform, das wird man wahrscheinlich auch nicht allzu oft sehen.

 

   In sich ist Roehlers Konzept geschlossen und wird konsequent durchgezogen. Als Zuschauer hat man die Wahl, es entweder grundsätzlich abzulehnen oder anzunehmen, und so wird dann auch das jeweilige Urteil ausfallen. Ich fand den Film sehr spannend und in vielen Szenen stark und krass bis an die Schmerzgrenze, wusste manchmal regelrecht nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Das ist mutig, durchaus nicht immer korrekt, verlangt einige Toleranz, war für mich aber allemal ein eindrucksvolleres Kinoerlebnis als manch gut gemeintes Historienstück über die Nazizeit. (4.10.)