Zarte Parasiten von Christian Becker und Oliver Schwabe. BRD, 2009. Robert Stadlober, Maja Schöne, Sylvester Groth, Corinna Kirchhoff, Gerda Böken
Ein junges Paar auf dem Weg von irgendwo nach nirgendwo, streunen durch die Republik, hausen in Schlafsäcken im Wald, und leben davon, dass sie sich an andere Menschen andocken und denen auf verschiedene Art zu Diensten sind. Einkaufen, unterhalten, einfach nur da sein, im Ausnahmefall mal ein live vollführter Koitus, um an das Glück vergangener Zeiten zu erinnern – oder so. Manu kümmert sich so um eine alte einsame Dame, und Jakob macht die Bekanntschaft eines Ehepaares, Martin und Claudia, das vor einiger Zeit den einzigen Sohn verlor. Dabei überschreitet er einige Grenzen, löst in dem trauernden Vater mehr Gefühle aus als erwünscht und bekommt Ärger mit Manu, die fürchtet, er würde ihre gemeinsamen Regeln verletzen und vielleicht auch die gemeinsame Zukunft aufs Spiel setzen. Nach dem Tod der alten Dame, durch den die beiden unschuldig in Verdacht geraten, setzen sie sich nach Knokke in Belgien ab, wo Jakob noch einmal mit Martin zusammentrifft, bevor die beiden dann weiter ihres Weges gehen.
Ein ruhiges, sprödes Drama in stillen Bildern aus einem irgendwie unbehausten Land. Erst ganz am Schluss im belgischen Seebad (das so öde ist, wie nur belgische Seebäder sein können) öffnet sich der Blick ein wenig, davor gibt es nur wenige, enge Schauplätze, das Haus des Ehepaares in ländlicher Umgebung, ein Wald, ein Segelflugplatz, die Wohnung der alten Dame, und alles in allem kommen nur sehr wenig Menschen vor, denen wir Zuschauer dann auch nicht mal sonderlich nahe kommen. Martin und Claudia sind noch immer von Trauer paralysiert, die alte Dame von der Sehnsucht nach der guten alten Zeit beherrscht und hat sich schon halbwegs aus der Gegenwart verabschiedet, und Jakob und Manu eignen sich auch nicht gerade als Identifikatoren, geben sich im Gegenteil eher sperrig und ein wenig rätselhaft. Wo das Drehbuch schon keinerlei Neigung zeigt, durch explizite Sätze etwas über ihren Hintergrund oder die Motivation für ihren Lebensplan preiszugeben, da geben uns die beiden erst recht keine Auskunft. Manchmal scheint sich Jakob vage nach einem Zuhause zu sehnen und sich von Manus Zugriff lösen zu wollen, und auch bei der Weiterreise gen Belgien wirkt er nachdenklich und irgendwie abwesend, letztlich aber lässt auch sich treiben, findet zu Martin nur eine flüchtige Bindung, vielleicht, weil er einfach nicht darin geübt ist, sich zu binden. Manus ist uns wenn überhaupt noch ferner, der alten Dame gegenüber durchaus liebevoll und zugewandt, im Kern aber äußerst verschlossen und absolut nicht geneigt, irgendwo Wurzeln zu schlagen. Ein starker, eigenwilliger Charakter, nicht gerade selten im neueren deutschen Film. Die sparsame Ästhetik der Bilder und Töne passt sehr gut zu dem reduziert psychologischen Konzept, dem Gefühl des Ungreifbaren, Vorüberziehenden, und auf ihre Art ist die Idee des nomadisierenden, bindungslosen Paares ganz spannend, zumal wenn sie so hervorragend gespielt wird wie in diesem Fall. Das Schauspiel wird übrigens kongenial gestützt von einer Kamera, die den Gesichtern häufig sehr nahe ist , was besonders bei einem Charakterkopf wie Sylvester Groth zuweilen recht eindrucksvoll wirkt. Es werden hier zwei Leute vorgestellt, die neben der großen Gesellschaft zu leben scheinen und auch wenig Interesse zeigen, mit ihr in tieferen Kontakt zu treten. Gleichzeitig wird klar, dass vor allem Manus Entschlossenheit sie vielleicht früher oder später in die Einsamkeit treiben wird, denn nach seiner Erfahrung mit dem Ehepaar ist Jakob längst nicht mehr so überzeugt und wird möglicherweise bald den endgültigen Absprung versuchen. Demgegenüber repräsentieren Martin und Claudia zwei Menschen, die nur scheinbar ein Zuhause haben, die in ihrem kühl und modern und dunkel wirkenden Heim aber nicht wirklich zuhause sind, sondern weitgehend in der Trauer um ihren Sohn und das verlorene Familienleben existieren.
All dies ist sehr ernst und still, wirkt aber dennoch nicht lastend oder überfrachtet. Ein interessanter Exkurs abseits ausgelatschter Pfade, sehr konzentriert und konsequent inszeniert, gekonnt einerseits, aber nie auf die routinierte Art. (14.9.)