Lebanon (#) von Samuel Maoz. Israel/BRD/Frankreich, 2009. Yoav Donat, Tay Tiran, Oshri Cohen, Michael Moshonov, Zohar Strauss, Dudu Tassa, Reymonde Amsellem, Ashraf Barhom

   Am Anfang ein Sonnenblumenfeld reglos unter heißblauem Himmel – leer. Am Ende dasselbe Sonnenblumenfeld unter demselben Himmel – nun steht ein ramponierter Panzer darin wie ein riesiges verbeultes Spielzeug. Dazwischen neunzig Minuten Hölle, ein Bericht aus den ersten Tagen des ersten Libanonkrieges von 1982. Vier Männer in einem Panzer auf einer scheinbar kinderleichten Mission durch eine zerbombte Stadt in Richtung Küste. Die Mission wird zu einem Alptraum, die Männer im Panzer verlieren völlig die Kontrolle, schließlich geraten sie unter Beschuss, ihr Kommandant stirbt, doch sie durchbrechen den Widerstand, kommen aus den Trümmern frei und landen in besagtem Sonnenblumenfeld.

   Es ist unschwer zu ersehen, dass der Autor/Regisseur diese oder ähnliche Ereignisse selbst durchlebt und durchlitten hat, sodass der Film zugleich ein Stück persönlicher Bewältigung. Das macht aber gar nichts, denn sein Film ist darüber hinaus eine extrem eindrucksvolle, geradezu universale Stellungnahme zum Thema Krieg und Menschen im Krieg geworden, die man sowohl ganz konkret auf den Libanon beziehen mag, aber auch auf jeden anderen Krieg in jedem anderen Land und zu jeder anderen Zeit. Immer stehen sich diese jungen Burschen gegenüber, die nicht die entfernteste Vorstellung davon haben, was sie erwartet, immer werden sie hilflos und ohnmächtig in einen Strudel der Gewalt und des Wahnsinns gezogen, immer müssen sie sich, obwohl der Kampf ums Überleben scheinbar im Vordergrund steht, nach ihren eigenen Werten fragen und danach, was von ihnen als Mensch noch übrig bleibt und wo sie deshalb möglicherweise eine Grenze ziehen. Und obgleich die vier im Panzer scheinbar recht unterschiedliche Typen sind – aufmüpfig oder schüchtern oder panisch oder gradlinig entschlossen – stehen sie im Ernstfall eher auf Seiten der Skrupelhaften, die nicht unbedenklich jeden Befehl befolgen und ebenso unbedenklich am Abzug ziehen. Das bringt sie als Soldaten ins größte Gefahr und zeichnet sie zugleich als Menschen aus, was schon darauf hinweist, dass sich Soldatentum und Menschlichkeit selten vereinbaren lassen. Darum geht es natürlich ständig in dieser Geschichte, um die Frage, was vom Menschen bleibt, wenn der Krieg die Oberhand gewinnt, wenn die letzten Fassaden der Zivilisation fallen und zu den Waffen gegriffen wird. Wir sind jetzt im Krieg, bekommen die vier verängstigten Jungs im Panzer mehrmals von einem herrischen Offizier wieder und wieder eingebläut, jetzt gelten anderen Regeln, jetzt geht’s nur noch darum, zu töten und getötet zu werden. Schon die erste Konfrontation mit dem schwer auszurechnenden Gegner sorgt für Unruhe und Irritation, die sich sehr rasch in blanke Panik steigert. Keiner der vier ist am Ende verzweifelter Diskussionen bereit, einfach so zu feuern auf Autos und Häuser, auf Menschen, Frauen, Kinder, so wie es von ihnen verlangt wird. Die Regeln des Städte-, Häuser- und Guerillakampfes scheinen noch perfider und grausamer zu sein, hier kann jeder eine Bombe bei sich tragen oder eine Familie als Schutzschild benutzen. Menschen werden erniedrigt, anderen wird grausame Folter in Aussicht gestellt, alle werden zu Befehlsempfängern ohne eigenen Willen degradiert. Unvorstellbar immer wieder, dass trotz aller Barbarei, trotz allem Schrecken und aller Vernichtung das Phänomen Krieg eine derartige Faszination ausübt, die zumeist die Grenze zwischen Kriegsfilm und Antikriegsfilm verwischt. In meinen Augen ist leider eben nicht jeder Film über den Krieg zugleich auch ein Film gegen den Krieg – schön wär’s ja!

   Samuel Maoz hat dies mit fast kammerspielartiger Intensität inszeniert, erzählt seine Geschichte ganz aus der Perspektive des Panzers, der sich zunehmend in ein fürchterliches, klaustrophobisches Gefängnis aus Hitze, Blut, Öl, Schweiß, Gestank, Tod und Angst verwandelt. Oft genug wird die Umwelt mit dem beengten Gesichtsfeld des Ausgucks wahrgenommen, genau wie die vier Männer haben auch wir das bange Gefühl, niemals alles zu sehen, alles erfassen zu können, ständiger Gefahr und Bedrohung von allen Seiten ausgesetzt zu sein. Auf selten intensive, eindringlich Weise werden Überforderung, Stress und Todesangst greifbar, wird die ständige Extremsituation so nachvollziehbar, als würden wir selbst sie durchleben. Kaum einem anderen Film ist es derartig eindrucksvoll gelungen, den Horror des Krieges in Bilder umzuwandeln ohne zugleich der oben erwähnten Faszination zu erliegen. Maoz bleibt bei den vier Männern im Panzer, bei ihrer Situation, ihrer Konfrontation mit dem Krieg und seinen Symptomen. Erst wird ein toter Soldat in den Panzer gekippt, später dann ein syrischer Gefangener, um den die vier sich kaum scheren, weil sie zu sehr mit dem eigenen Überleben beschäftigt sind.

 

   Ohne Pathos oder großspurige Lippenbekenntnisse ist dies Erlebnisbericht und humanistisches Pamphlet zugleich, kraftvoll gefilmt und gespielt, bedrückend und zugleich aufwühlend in seiner Wirkung, großartiges Kino aus Nahost, gottlob kann man nur sagen, dass von dort auch mal was anderes zu uns rüberkommt als nur deprimierende Nachrichten von einem Krieg, den offenbar niemand beenden will. (18.10.)