Lourdes (#) von Jessica Hausner. Österreich/Frankreich/BRD, 2009. Sylvie Testud, Léa Seydoux, Bruno Todeschini, Elina Löwensohn, Gilette Barbier, Katharina Flicker, Gerhard Liebmann

   „Was soll uns dieser Film sagen?“ fragt der alte Knacker vor mir beim Verlassen des Kinos. Gute Frage, Paps, und deine genervte Miene wird die Filmemacherin vielleicht sogar freuen, denn sie wollte ganz bestimmt keinen netten Wohlfühlfilm machen, keinen leicht kategorisierbaren Film, sondern einen, der irritiert und beschäftigt. Ganz ohne Frage ist ihr das gelungen und zwar ziemlich gut, auch wenn nicht jeder Kinobesucher mit dem Resultat zufrieden ist – aber ein Konsensfilm sollte das bestimmt auch nicht werden!

   Einerseits eine besondere, einzelne Geschichte, andererseits eine Geschichte unter vielen. Eingebettet in den monströsen alltäglichen Pilgerrummel in dem kleinen südfranzösischen Kaff erfahren wir von der jungen Christine, die unter MS leidet, an den Rollstuhl gefesselt und fast bewegungsunfähig ist. Sie nimmt an einer von den Maltesern organisierten Reise nach Lourdes teil, nicht etwa, weil sie besonders gläubig ist, sondern nur, um mal rauszukommen und weil sie sonst so wenig Möglichkeiten hat. Die junge Pflegerin Maria kümmert sich meistens um sie, doch hat sie vor allem ein Auge auf den feschen Uniformträger  Kuno geworfen und versucht, Christine nach Möglichkeit loszuwerden, sodass sich bald eine andere ältere Dame um die junge Rollstuhlfahrerin kümmert. Als Christine plötzlich ihre Hände bewegen und kurz darauf wieder stehen und gehen kann, wird ihre Heilung allgemein als Wunder gefeiert, doch zugleich beäugen alle übrigen Pilger misstrauisch, ob dieses Wunder von Dauer sein wird – auch Christine selbst, die eigentlich nicht an Wunder glaubt, sieht sich einer ungewissen Perspektive gegenüber.

   In ganz ruhigen, unaufgeregten und sehr präzisen Bildern erzählt Jessica Hausner diese Geschichte, die in viele Richtungen zugleich strebt und dennoch nie ihre Mitte verliert. Die Beobachtungen aus Lourdes sind nüchtern und doch voller Ironie, das groteske Kommerzspektakel um die Erscheinung der heiligen Bernadette, die Menschenaufläufe in der Grotte oder bei verschiedenen Gottesdiensten, die abstoßende Anhäufung von Souvenirkitschläden, all das umgibt die zentrale Geschichte, dient als ständiger Hintergrund, erinnert auch daran, dass statt Christines Schicksal ebenso gut ein anderes hätte ausgewählt werden können. Die eifrige Frömmigkeit der Pilger, ihre intensive Bereitschaft, jedes noch so kleine Zeichen zu erkennen als eine göttliche Botschaft, die disziplinierte, generalstabsmäßige Organisation der Malteser, die ja nur eine von unzähligen Reisegruppen bilden, sind Gegenstand genauer und aus deutlicher Distanz unternommener Beobachtungen. Hausner strebt nicht nach billiger Satire oder schlichter Polemik, sie will den Pilgern auch nicht ihre Würde oder ihre Motive streitig machen, sie dokumentiert lediglich, dies allerdings unbestechlich, wie mit Glaube und Hoffnung sehr viel Geld verdient werden kann, wenn man das nur geschäftstüchtig genug aufzieht.

 

   Auch Christines Fall ist ziemlich mehrdeutig. Jemand wie Luis Buñuel hätte aus diesem Anlass natürlich eine triefend höhnische Attacke gegen naive Bigotterie geritten (und ich hätte seinen Film wahrlich genossen!), Hausner jedoch nimmt die Heilung an sich ernst, konzentriert sich auf das Staunen, die Überraschung der jungen Frau, die selbst nicht weiß, wie ihr geschieht, die aber sogleich entschlossen ist, ihre neuen Möglichkeiten zu nutzen. Sie will wandern, tanzen und endlich auch mal mit einem Mann anbändeln, und all dies versucht sie in Rekordzeit zu schaffen, mit dem Ergebnis, dass sie sich überfordert und am Ende erschöpft wieder im Rollstuhl sitzt, voller Angst, dass die Krankheit wiederkommt. Ein durchaus eindringliches menschliches Drama also, schön kontrapunktiert durch die Reaktionen, die die wundersame Heilung bei ihren Mitpilgerinnen erfährt – Neid, Missgunst, Misstrauen zumeist. Die öffentlich bekundete Freude ist nicht ehrlich, jeder fragt sich, warum sie und nicht ich, jeder wacht mit Argusaugen darüber, ob das Wunder wirklich von Dauer ist und wünscht sich natürlich insgeheim, es möge nicht so sein. Typisch menschliche Gefühle also, präsentiert mit einer Mischung aus entlarvendem Humor und kühler Distanziertheit. Die erstreckt sich auch auf den Blick auf die Hauptfiguren, und so bleibt uns wenig Halt, wenig Identifikation, wenig Empathie im eigentlichen Sinn, und gerade das macht den Film so irritierend. Er hält uns auf Abstand, beruhigt uns nicht mit klaren Aussagen und einer klaren Position, er bleibt mehrdeutig, vage, doch das ist in diesem Fall kein Nachteil, sondern eine bewusst und sehr konsequent gewählte Form. Kein leichter Stoff also, sondern einer, der aktiv konsumiert und durchdacht werden will, und da muss man als Filmemacherin auch mal in Kauf nehmen, dass dazu eben nicht jeder bereit ist. (12.4.)