Mine vaganti (Männer al dente) von Ferzan Ozpetek. Italien, 2010. Riccardo Scarmacio, Nicole Grimaudo, Alessandro Preziosi, Ennio Fantastichini, Lunetta Savino, Ilaria Occhini, Elena Sofia Ricci, Bianca Nappi, Carolina Crescentini 

   Wer mal wieder den Nerv hat, sich nicht von dem sau-sau-saublöden deutschen Verleihtitel abschrecken zu lassen und sich stattdessen auf ein delikates Stück italienischen Familienkinos passend zur leichten Sommerzeit freut, der sollte sein Erscheinen nach allem Ermessen nicht bereuen, denn hier wird man seinen Erwartungen entsprechend bestens bedient. Italien aus dem Vollen geschöpft: Eine fotogene Kulisse (diesmal die üppige Barockstadt Lecce), eine große Handvoll „typischer“ Einheimischer und eine Handlung dazu, die launig und flott voranschreitet und die sich im wesentlichen um die Frage der Identität dreht, nicht nur der sexuellen übrigens, obwohl die schon eine zentrale Rolle spielt. Zwei Brüder aus der Nudeldynastie Cantone sind schwul, nur ist der ältere Antonio etwas schneller und kommt dem jüngeren Tommaso mit dem öffentlichen coming-out zuvor, was letztgenannten unweigerlich in große Schwierigkeiten bringt, denn Papa, ein apulischer Macho alter Schule, kommt mit massivem Herzklabastern ins Hospital, und Tommaso weiß genau, wenn er sich jetzt auch noch outet, bedeutete dies automatisch Papas Tod. Also spielt er erst mal weiter seine Rolle, engagiert sich widerwillig in der Pastaproduktion, obwohl er heimlich längst künstlerische Ambitionen verfolgt, und er bändelt mit der hinreißenden Alba an, der Tochter eines Teilhabers, die Tommasos Spiel auch erst etwas später durchschaut. Mit von der Partie sind noch die exzentrische Tante, die fast jeden Abend „Einbrecher“ bei sich beklagt, die Frau Mama, die mit spitzem Vogelblick die Familie im Blick hat, und die weise Großmama, die als einzige alles und jeden zu durchschauen scheint, weil sie selbst eine Geschichte hat und nun versucht, die Lehre daraus auch an ihre Lieben zu vermitteln. Am Ende inszeniert Großmama ihren eigenen Tod als tragische Oper, die Beerdigung wird dann zur Bühne für die allgemeine Versöhnung und Wiedervereinigung der Cantones, und ob sich Tommaso am Ende für seinen Freund oder doch lieber das Mädchen entscheidet, bleibt in einer delikaten Schwebe.

 

   Turbulente Komik wechselt sich ab mit melancholischen oder gefühligen Momenten, alles bewusst ein wenig dick aufgetragen, sehr italienisch eben, alles mit dem sprichwörtlichen Augenzwinkern inszeniert, liebevoll ironisch, bestechend schön bebildert und orchestriert, und wer mag, kann darin eine Ermutigung sehen, sich selbst zu verwirklichen, den eigenen Weg zu finden und ihn dann auch zu gehen, ungeachtet aller Hindernisse, Konventionen und Traditionen, die im konservativen Süden natürlich immer erst mal hinderlich sind. Schule haben per se keine Chance, als schwierig und zickig verschrieene junge Frauen auch eher nicht, und wenn der Älteste nicht brav in Papas Fußstapfen zu treten gedenkt, dann kann er sich auch auf einiges gefasst machen. So gibt’s also die eine oder andere spöttische Betrachtung zum italienischen way of life, niemals böse oder zynisch allerdings, sondern so, dass am Ende alle ihr Gesicht und ihren Stolz gewahrt und vielleicht ihren Platz gefunden haben. Ozpetek hat den Film selbst seiner Familie gewidmet, und so ist er auch, eine Liebeserklärung an Land und Leute und zugleich eine Werbung für mehr Offenheit und Toleranz. Ein Film also, den sich jeder ansehen kann ohne sich gleich angegriffen zu fühlen, ein Gutelaunefilm durchaus, ein Sommerfilm ohne Frage, trotz ein Film, der mir Spaß gemacht und der mich stellenweise auch berührt hat, und in dieser Art können so was eh nur die Italiener. (23.7.)