Mammuth (#) von Benoît Deléphine und Gustave Kervern. Frankreich, 2010. Gérard Depardieu, Yolande Moreau, Miss Ming, Isabelle Adjani, Anna Mouglalis, Benoît Poelvoorde, Albert Delpy

   Zehn Jahre lang hat Serge Schweinehälften verarbeitet, nun ist Schluss, Zeit für die Rente. Die Gattin Catherine, im Gegensatz zu dem etwas phlegmatischen Herren praktisch veranlagt, macht sich Sorgen um das finanzielle Auskommen und ermahnt Serge, die für die ausstehende Rente nötigen Nachweise einzuholen. Und da Serge sich jahrelang mit obskuren Gelegenheitsjobs durchgeschlagen hat, sind das eine ganze Menge. Also sattelt er seine alte Münch-Mammut und macht sich auf die Reise, die ihn zu Friedhöfen, Discos, Rummelplätzen, Winzern, verlassenen Gaststätten, nicht mehr existenten Bäckereien und anderen Örtlichkeiten führt, und auch zu seiner mittlerweile erwachsenen Nichte, die als schräge Künstlerin lebt, auch haarscharf am Rande der Gesellschaft vorbei. Begleitet wird er außerdem von dunklen Erinnerungen in Gestalt seiner bei einem Motorradunfall vor vielen Jahren gestorbenen großen Liebe Yasmine, die ihn am Ende der Reise ins Leben entlässt und ihn ermahnt, endlich wieder richtig glücklich zu werden.

 

   Eine Rolle, die, wie man so schön sagt, dem Depardieu geradewegs auf den Leib geschneidert wurde, und wie er sie buchstäblich ausfüllt und auch mit Leben füllt, ist schon sehenswert und an sich den Eintritt wert. Überhaupt merke ich immer wieder, dass ich Depardieus noch nie überdrüssig geworden bin, obgleich er wirklich häufig im Kino zu sehen ist, doch ist es immer wieder faszinierend, wie unaufdringlich und leicht er trotz seiner mittlerweile fast furchteinflößenden Leibesfülle rüberkommt. Sein Mammuth ist ein liebenswerter Kerl, ein friedlicher, wortkarger, oft unbeholfener und wohl geistig auch etwas schlichter Typ, dem einfach die Werkzeuge fehlen, die man braucht, um heutzutage wehrhaft und agil zu bleiben. Ihm fehlen die Worte und der Wille zur Aggressivität, und so lässt er sich abwimmeln, verarschen, demütigen und blöd anmachen, lässt sich Catherines Handy klauen und mehr als einmal herablassend wie einen Penner behandeln, und geht dennoch stoisch seinen Weg weiter. Seine Reise führt ihn halb durch die Vergangenheit, halb durch die Gegenwart, durch ein wenig fotogenes Land und an wenig fotogene Orte, die in angemessen bleiche, körnige, Bilder getaucht werden und dem klassischen Roadmovie einen leicht trostlosen äußeren Anstrich geben. Diese Stimmung wird natürlich gebrochen durch die unbedingte  Zuneigung und Solidarität der Regisseure für ihren knorrigen Helden und den immer wieder jähen Einbruch skurrilsten Humors auf verschiedenen Ebenen, der sich sehr hübsch abwechselt mit dunklen, nachdenklichen Momenten, in denen wir Serge sehr nahe sind. Wunderbar zum Beispiel die kurze Szene, in dem er wirklich wie ein Bär im Käfig durch das Wohnzimmer tigert, mit schwingenden Armen immer um den Esstisch herum, rastlos, tatenlos, aber auch nicht imstande, irgendetwas anzufangen mit seiner vielen Zeit, sondern wartend auf die Frau, die ihm Arbeitsaufträge gibt. Stark auch die wenigen Auftritte Isabelle Adjanis als Yasmine, blutig gezeichnet vom tödlichen Unfall, den Serge womöglich verschuldet hat und über den er nicht hinwegkommt, und den er nun auf dieser neuerlichen Reise zu verarbeiten versucht. Nicht zu vergessen die bärbeißige und handfeste Yolande Moreau, immer wieder in Scharmützel mit der feindseligen Umwelt verwickelt, liebevoll besorgt um den schusseligen Gatten, und zur Furie mutierend, wenn sie sich mit ihrer Freundin auf Rachefeldzug begibt und die Handyklauerin massakrieren will, bis ihr einfällt, dass sie ja gar nicht weiß, wo sie die Schlampe eigentlich suchen soll. Der Film lebt stark von diesen Brüchen und komischen Episoden und er geht sehr gekonnt damit um, weil Deléphine und Kervern einfach ihren ganz eigenen Stil haben und den für meinen Geschmack im Vergleich zu „Aaltra“ hier auch erheblich verfeinert und ausgebaut haben. Er hat einerseits jenen Fluss, den ein gutes Roadmovie haben muss, kommt aber andererseits immer wieder mit Überraschungen und Brechungen um die Ecke, die dem ganzen einen unangepassten und eigenwilligen Anstrich geben. Ein sehr schöner, gefühlvoller und tiefgehender Film, sozusagen aus einem Frankreich von unten, und ein weiteres Denkmal für den großartigen Schauspieler Depardieu, der wie kein anderer Zartheit und Derbheit bruchlos in einer Person unterzubringen vermag. (10.10.)