Mr. Nobody (#) von Jaco van Dormael. Frankreich/Belgien/BRD/Kanada, 2009. Jared Leto, Sarah Polley, Diane Kruger, Linh-Dan Pham, Rhys Ifans, Natasha Little, Toby Regbo, Juno Temple, Thomas Byrne, Allan Corduner

   Mitten in dieser geradezu unheimlich langen Sommerpause habe ich mich trotz Tropenklima mal wieder ins Kino gewagt, und wenn ich’s auch vielleicht nicht gerade bereut habe, so war dieser Film dennoch nicht angetan, mir wieder Appetit auf mein liebstes Hobby zu machen. Ein überlanger, verquaster, überfrachteter und konzeptionell missglückter Exkurs in Pseudophilosophie und Mystik, der sich sichtbar bei Vorbildern wie Kieslowski oder Gilliam bedient, irgendwie aber nie zu einer eigenen griffigen Identität findet.

   Was ist das Leben – ist alles vom Schicksal vorbestimmt, ist alles nur Zufall, können wir unsere Geschicke lenken oder sind wir komplett in den Händen irgendeiner geheimnisvollen Macht, irgendeines Systems, dessen Regeln wir nicht durchschauen. Kann es sein, dass sich das ganze Leben manchmal in einer einzigen Situation, in einer einzigen Entscheidung bündelt, und abhängig von dieser Entscheidung komplett anders entwickeln kann? Diese Fragen sind ja noch ganz reizvoll und nachvollziehbar, wie es aber geschehen kann, dass der Regisseur eines so wunderbaren Films wie „Toto, der Held“ nicht mehr und vor allem nichts persönlicheres daraus gemacht hat, das wollte sich mir nicht erschließen.

   Wir erleben eine ständig zwischen den Zeit- und Realitätsebenen changierende Geschichte, die zum Teil in ferner Zukunft spielt, wo die Menschen endlich ein Unsterblichkeitsgen gefunden und die Fortpflanzung damit obsolet gemacht haben, und wo sich nun der hundertdreißigjährige Nemo anschickt, als letzter sterblicher Mensch von der Erde zu verschwinden. Nemo wird in seinen letzten Stunden interviewt von einem Reporter, den die Memoiren des Greises mehr und mehr verwirren, weil es nicht nur eine , sondern gleich zwei Lebensgeschichten zu sein scheinen. Ausgehend davon, wie sich der neunjährige Nemo entscheidet, als die Eltern sich trennen: Bleibt er in England beim Papa, oder läuft er dem Zug der Mama hinterher und reist mit ihr nach Kanada. Von dieser Verzweigung ausgehend erzählt van Dormael danach eigentlich nicht mehr und nicht weniger als Liebes- und Familiengeschichten, nur peppt er sie halt mit schicker Technik, anspielungsreichen Momenten und vermeintlich existentialistischen Motiven auf. Der britische Nemo verstrickt sich in die unheilvolle Ehe mit der manisch depressiven Elise, der kanadische Nemo findet in Anna die große Liebe, wird aber von ihr getrennt und geht eine Zweckehe mit Jeanne ein, ohne Anna jemals zu vergessen.

   In manchen Momenten zeigt van Dormael noch einmal, wie gefühlvoll und originell er erzählen kann, manchmal wird’s aber auch nur schwülstig und überzogen, und alles in allem fehlt dem Film der innere Fokus, das Leitmotiv, eine eigene Aussage. Er zeigt Nemo im Wirbel der Möglichkeiten, immer eingedenk der Tatsache, dass sein Leben so oder so hätte verlaufen können. Während mir der junge bzw. halbwüchsige Nemo noch am nächsten kamen, empfand ich den Erwachsenen eher als staunenden Spielball des Schicksals, der aber gar keine greifbare Identität als Mensch hat, er ist und bleibt ein Werkzeug. Der Alte hat mich offen gestanden nicht interessiert, wie ich überhaupt die ganze aufgeplusterte Science-Fiction-Kulisse total überflüssig und komplett entbehrlich fand. Hätte van Dormael darauf verzichtet, der Film hätte nichts verloren außer einigen Längen, und wir Zuschauer hätten vielleicht noch die Chance gehabt, uns intensiver auf das übrige einzulassen. So bleibt das meiste flüchtig, theoretisch, letztlich auch oberflächlich, was schade ist, denn wie gesagt, ein paar schöne Momente gerade in den Jugendszenen mit dem Potential für mehr finden sich durchaus. Nemo selbst scheint außer in seinen Liebesbeziehungen und Ehen überhaupt nicht zu existieren, es gibt nichts, was ihn als Mensch interessant macht, ihn definiert. Er bleibt ein Neutrum, während viel eher die verschiedenen Frauen den Reiz der Sache ausmachen, die jedoch haben viel zu wenig Raum für Entfaltung und gehen wie alles andere auch in dem stylish aufgeblähten Ganzen unter.

   Ich habe leider nicht viel in diesem Film gesehen oder gehört, was mich weiter beschäftigen würde, und so sehe ich mich bei 30° im Schatten doch eher darin bestätigt, weiterhin die Abende im Garten oder sonstwo draußen zu verbringen, wenn nicht langsam mal wieder was interessantes im Programm aufkreuzt. (20.7.)