Nowhere Boy (#) von Sam Taylor-Wood. England, 2009. Aaron Johnson, Kristin Scott Thomas, Anne-Marie Duff, Thomas Sangster, Sam Bell, David Morrissey, Jack McElhone
Porträt des Künstlers als junger Mann, und zwar genauer gesagt als sehr zorniger junger Mann. In der Tat ist die Geschichte des jugendlichen John Lennon auf der Suche nach seinen Wurzeln im Liverpool der ausgehenden 50er voller archetypischer Motive aus jener Zeit: Blick zurück im Zorn für Rock ’n Roller oder so. Der junge John ist ein forscher, wilder, arroganter und unwiderstehlicher Bursche, der bei Tante und Onkel lebt, sich nach dem Tod des geliebten Onkels aber zunehmend abwendet von der britisch reservierten Tante Mimi, die den ganzen Muff ihrer Epoche aufgesogen zu haben scheint. John steigt lieber den Mädels nach, übt sich in der Schule in Aufsässigkeit und unternimmt mit seinem besten Kumpel allerhand waghalsige Aktionen, denn irgendwohin müssen die Hormone ja fließen. Außerdem nimmt er Kontakt zu seiner Mutter Julia auf, einer reichlich temperamentvollen Dame mit einem Hang zum wilden Leben, die ihn als Fünfjährigen zu ihrer Schwester gab, so jedenfalls die nebulöse Version, die John bisher zu hören bekommen hatte. Er will die Wahrheit wissen über seine Kindheit, das ist die eine Sache, die die Geschichte voran treibt. Die andere ist die Musik, mit der Julia ihn bekannt macht, und die ihn buchstäblich elektrisiert. Über Elvis, Screamin’ Jay Hawkins und andere Idole der Zeit erarbeitete er sich langsam einen Stil und ein Repertoire, sammelt ruckzuck eine Band um sich, wird mit seinen Quarrymen schnell zur lokalen Berühmtheit, und eines Tages wird ihm dann ein milchiger Linkshänder namens Paul McCartney vorgestellt, der nicht nur prima spielen kann, der ihn auch ermutigt, es mal mit eigenen Songs zu versuchen. Dann kommt der Unfalltod der gerade erst wiedergefundenen Mutter, das lange Ringen mit der Tante und dem Weg nach draußen und dann der endgültige Schritt, die Fahrt mit der Band nach Hamburg. Das war 1960. Der Rest ist für die Geschichtsbücher.
Mehr aber als um die Musik dreht sich der Film um Lennons Versuch, etwas Licht in seine eigene Geschichte zu bringen, seine Mutter kennen zu lernen, etwas über seinen Vater zu erfahren und zu verstehen, unter welchen Umständen er bei seiner Tante landete. Wir erfahren, was ihn bewegte und antrieb, wo vielleicht auch die Wurzeln für viele seiner späteren Songs zu finden sind. Als stolzer und eigensinniger, temperamentvoller Bursche empfindet er die vielen Ausflüchte und Halbwahrheiten als Demütigung, reagiert wütend und aggressiv, benutzt aber nicht nur die Musik als Ventil, sondern lässt sich mitunter auch handgreiflich an seiner Umwelt aus. So wechseln triumphale Momente mit peinlichen Aussetzern und zeigen alles in allem einen jungen Mann, der ständig verquer zu sich selbst und seinen Mitmenschen steht, der einerseits Liebe und Anerkennung braucht und ersehnt, sich andererseits aber auch gern beweist, wie cool und unabhängig er doch ist. Der Zeitgeist der 50er gibt ihm wenig Raum, Prüderie und Spießertum geben den Ton an, Frischlinge wie Seinesgleichen werden entschieden bekämpft und mit allen Mitteln der Autoritäten zur Räson gebracht. Lennon stößt abwechselnd auf Bewunderung und auf Ablehnung, sein scharfer Verstand seine Lust zur Provokation, seine Arroganz und sein sarkastischer, manchmal auch verletzender Humor machen den Umgang mit ihm nicht gerade leicht, zumal er sich selbst häufig genug im Weg steht. Und im Verhältnis zu McCartney sieht man hier schon die Strukturen der Beatlesjahre, jedenfalls wird das im Drehbuch so angelegt, der Stürmer und Dränger gegen den eher besonnenen Bubi, die dann lernen, ihre konträren Charaktere im genialsten Songschreiberduo aller Zeiten auszubalancieren.
Der Film erscheint als gefühlvolles und einprägsames Porträt Lennons und seiner Zeit, die Dramaturgie setzt durchaus auf hochschwappende Emotionen, manchmal war’s mir fast etwas zuviel, andererseits aber wird Lennons persönliches Empfinden sehr konsequent und intensiv nachgezeichnet, und da fand ich es auch weniger problematisch, dass die Trennlinie zwischen Wahrheit und Mythos in solchen Fällen naturgemäß de öfteren verschwimmt. Die Schauspieler, die Musik, das Tempo, die Intensität der Emotionen halten den Zuschauer fest im Bann, und alles in allem ist dies ein wirklich schöner und mitreißender Film über den klassischen angry young man, ein Film mit sehr viel Herz und Empathie. Und wenn man sich die Kerls da anschaut, Lennon, McCartney und Harrison mit nicht mal zwanzig, die Keimzelle der Beatles, und daran denkt, dass zwei von denen schon längst nicht mehr leben, der eine mittlerweile seit glatten dreißig Jahren, dann ist das irgendwie traurig. (22.12.)