Robin Hood von Ridley Scott. England/USA, 2010. Russell Crowe, Cate Blanchett, Mark Strong, Max von Sydow, Oscar Isaac, William Hurt, Matthew Macfadyen, Mark Addy, Kevin Durand, Scott Grimes, Eileen Atkins, Léa Seydoux
Wer heutzutage noch den Nerv hat, den x-ten Robin-Hood-Film zu machen, weiß genau, dass er sich in ziemlich ausgelatschten Spuren fortbewegt und dass er sich mit vielen vielen Vorgängern vergleichen lassen muss. An wen denkt man nicht alles bei dem Namen – Erroll Flynn und Walt Disney, Lex Barker und Kevin Costner, Sean Connery natürlich auch, nicht zu erwähnen die vielen anderen TV-Produkte, die sich mit dem klingenden Namen schmücken und die alle auf die eine oder andere Weise die Legende bedienen und für ihre Zwecke umformen. Wenn man aber genau hinschaut, sind die wirklich kongenialen Interpretationen dieser Rolle ziemlich rar: Erroll Flynns einst so unwiderstehliche Vitalität wirkt heute nach über siebzig Jahren auf mich ein wenig anstrengend, und Keighleys und Curtiz’ so erfolgreiche Fassung ist heute nicht mehr als ein quietschbuntes, liebenswert nostalgisches Stück Kintopp. Disneys Zeichentrickfilm finde ich enttäuschend banal und kitschig, Lex Barker kann man sowieso nicht ernst nehmen, und Kevin Costner ist als Robin Hood eine denkbar bräsige Fehlbesetzung, die aber wenigstens seinen Partnern (den Herren Freeman und Rickman nämlich) Gelegenheit zum Glänzen gab. Einzig Richard Lesters bezaubernde Spätlese mit dem Traumpaar Connery/Hepburn als Robin und Marian ist für mich von bleibendem Wert geblieben, was im Klartext heißt, dass auch ein dreißigster Film eigentlich keinen Vergleich zu scheuen braucht, wenn er es denn vernünftig anfängt.
Und zu meiner angenehmen Überraschung muss ich gestehen, dass Ridley Scott es ziemlich vernünftig angefangen hat. Ich begegne diesem Regisseur nach wie vor mit Interesse, aber auch gehöriger Skepsis angesichts einiger monströser Fehlschläge und einer nach wie vor sehr ungünstigen Prozentzahl wirklich gelungener Filme. Ein Genreregisseur war er immer, Historienfilme hat er auch schon gemacht (Sachen wie „Gladiator“, die mich null interessiert haben), und eingedenk seiner notorischen Neigung, das visuelle Design grundsätzlich über die inhaltliche Substanz zu stellen, habe ich diesmal auch nicht mehr erwartet als glattes, perfekt gestyltes Hollywoodkino ohne viel Seele oder Eigenständigkeit. Und natürlich ist dies perfektes Hollywoodkino, aber durchaus von der angenehmen, der klassischen und respektablen Sorte, ein wunderbar unterhaltsamer Abenteuerfilm für den Sonntagnachmittag, ein Film, der atmet und der von großen Momenten und Szenen lebt, aber auch ein Film, der ein bisschen hinzufügt zum bisherigen Kanon, und für mich einer der besten Robin-Hood-Filme, die ich kenne.
Scott erzählt eigentlich die Geschichte vor der Geschichte, also die Geschichte, wie aus Robin Longstride, dem Kreuzzugkämpfer und Richard Lionheart Robin Hood, der gefürchtete und gefeierte Outlaw aus dem Sherwood Forrest wurde. Es geht los Ende des 12. Jahrhunderts mit einer Belagerung, einer Eroberung und Richards Tod. Dann die Intrige, der drohende Verrat an den Erzfeind Frankreich (so lange geht das schon zwischen den beiden...), der Versuch, den schwachen König John auf die Seite der Verräter zu ziehen und der Versuch der englischen Barone, den gierigen, törichten und eitlen Herrscher trotz jahrelang erduldeter Schikanen und Plünderungen zu unterstützen. Daneben Robins Inkognito als Robert Loxley, das ihm den Weg bis nach Nottingham, den Eintritt in die respektierte Familie und letztlich auch den Weg ins Herz der forschen und spröden Witwe Lady Marian ebnet. Der Film endet nach dem Sieg über die Truppen der Verräter am Strand und dem Wortbruchs von King John, der sein einst gegebenes Versprechen einer Charta der Menschenrechte zurücknimmt und Robin Hood in aller Öffentlichkeit für vogelfrei erklärt. Und bis dahin gibt’s Schauwerte satt, gibt es aber auch einige spannende Psychogramme, etwa das des brüchigen Helden Robin, der auf der Suche nach der eigenen Geschichte ist, oder es irrlichternden Königs John Ohneland und seiner verzweifelten Mutter, die mit ansehen muss, wie all die Werte, für die die Plantagenets einst standen, von ihrem kapriziösen Sohn in den Dreck gestoßen werden. Natürlich ist es müßig, hier nach historischer Akkuratesse zu fragen, darum geht es natürlich auch nicht, aber dennoch war es dem Drehbuch und der Regie offenbar ein Anliegen, die Legende Robin Hoods möglichst komplex einzubetten in eine Geschichte seiner Zeit. Der desaströse Haufen der heimkehrenden Kreuzritter korrespondiert mit dem desaströsen Zustand der englischen Gesellschaft, ausgelaugt vom Aderlass durch den sich endlos hinziehenden Glaubenskrieg im Morgenland, tief gespalten von krassen Klassengegensätzen, zermürbt von der Willkürherrschaft der Krone, dem ständig konkurrierenden Machtanspruch der Kirche und der Bedrohung durch den Machtanspruch der Franzosen, die nach Richards Tod die Chance sehen, dem schwachen Bruder das Land zu entreißen. Statt großer patriotischer Elogen à la Henry V. oder Elizabeth gibt es diesmal nur Robins eloquenten Appell für mehr Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenwürde und gegen die Erniedrigung und räuberische Gier, unter der die englische Bevölkerung jahrelang zu leiden hatte. Die berühmte Magna Charta, auf die hier angespielt wird, wurde später tatsächlich noch unter der Regentschaft König Johns unterzeichnet, nur erleben wir hier, wie die Bevölkerung von ihrem König verhöhnt, betrogen und in der Folge weiter ausgeplündert und unterjocht wird – die große Zeit des Sheriffs von Nottingham, der in diesem Film noch keine so prominente Rolle innehat.
Das Ganze ist natürlich kein seriöser Geschichtsexkurs, sondern ein reines Unterhaltungsprodukt, das auch gar nicht den Anspruch auf mehr erhebt, und muss dementsprechend als solches gesehen und bewertet werden. Wenn ich das tue, kann ich sagen, dass ich mich fabelhaft unterhalten habe angesichts toller Bilder, großer Landschaft, rasanter Kampfszenen, aber eben auch schöner menschlicher Momente, für die dann die durchweg erstklassigen Schauspieler zuständig waren. Russell Crowe ist ganz in seinem Element in dieser Rolle und gibt ihr zugleich Ernsthaftigkeit, Gewicht und physische Präsenz, ohne den Hanswurst in grünen Strumpfhosen abzugeben. Cate Blanchett ist wie immer bewundernswert als Schauspielerin, nur finde ich sie in dieser altmodischen Frauenrolle zu modern und stark, doch immerhin gibt sie einen interessanten und sehr profilierten Gegenpart für den Helden, der keineswegs alles überstrahlt. Mark Strong ist nach „Body of lies“, „Sherlock Holmes“ und „Young Victoria“ mittlerweile mein Lieblingsschurke, die elegante, perfide Personifizierung des Bösen schlechthin, und einer wie Max von Sydow ist allein schon durch seine Präsenz eine Attraktion in jedem Film.
Wie gesagt, Ridley Scott hat in seiner Karriere mehr als reichlich Müll produziert, doch gerade in den letzten Jahren sind ihm einige sehr ordentliche Filme gelungen, dieser hier ist besonders gut gelungen, und wenn ihm sowas ab und zu nochmals glücken sollte, dann höre ich auch auf, mich über sein scheinbar völlig willkürliches Hin- und Herspringen zwischen den Genres und Themen zu wundern. (16.5.)