Shutter Island (#) von Martin Scorsese. USA, 2009. Leonardo DiCaprio, Mark Ruffalo, Ben Kingsley, Michelle Williams, Patricia Clarkson, Emily Mortimer, Max von Sydow

   Noch so ein Film, den man eigentlich gleich noch mal sehen müsste, nur um dann viele Szenen aus einem ganz anderen Blickwinkel zu erleben. Außerdem nach langer Zeit mal wieder ein ganz ungeniert auf reine Unterhaltung getrimmter Scorsese-Film, und vielleicht deshalb auch ein fast unerwartetes Vergnügen. Unerwartet sage ich deshalb, weil es in den letzten Jahren selten so war, dass man sich beim ollen Scorsese einfach mal zurücklehnen und sich entspannen konnte, so ganz ohne Prätentionen und nervige Mätzchen. Außerdem ist dies ein schön traditionsbewusster Genrefilm geworden, irgendwo in der Grusel- und Psychothrillerecke und mit gekonnter Mischung aus Ernsthaftigkeit und Ironie die Versatzstücke auf ihre Tauglichkeit prüfend.

   Am Anfang landen die frisch gepaarten US-Marshals Leonardo DiCaprio und Mark Ruffalo auf einer düsteren Insel irgendwo vor Boston, wo eine berühmt-berüchtigte forensische Klinik beheimatet ist. Dort ist eine besonders gefährliche Frau entlaufen und soll nun gefunden werden, doch weder Ärzte noch Pfleger noch Wachpersonal geben sich sonderlich kooperativ, und als dann noch der obligatorische Sturm losbricht und die Insel von der Außenwelt isoliert, gerät so einiges ins Rutschen, doch das alles ist noch gar nichts gegen die buchstäblich haarsträubende Wendung, mit der wir uns kurz vor Schluss konfrontiert sehen.

   Scorsese fängt mit standesgemäßem Einsatz uralter Genremuster an, balanciert dabei auf der dünnen Kante zwischen Trash und Ernsthaftigkeit, ohne sich jedoch für die eine oder andere Seiet entscheiden zu wollen. Auffällig ist nur, dass von Beginn an eher der Marshall Teddy Daniels im Mittelpunkt zu stehen  scheint und die verschwundene Frau lediglich als Katalysator fungiert, um die ganze Storys überhaupt in Gang zu kriegen. Wir sehen einen Mann, der von seinen Dämonen verfolgt wird, von Bildern aus dem Befreiten KZ Dachau, den Leichenbergen, dem Unfassbaren, das sich eben auch der noch junge GI ansehen muss und das er wie so viele andere niemals verkraften wird. Wir hören von seiner Frau, die bei einem brand ums Leben kam und erfahren nun, dass auch der damalige Brandstifter angeblich auf Shutter Island lebt und  Marshall Daniels folglich eine ganz private Rechnung im Auge hat, wenn er die Fähre über die stürmische See nimmt. Die Konfrontation mit den Ärzten Ben Kingsley und Max von Sydow präsentiert uns die klassisch obskuren Wissenschaftler, ungreifbar und irgendwie teuflisch, der eine ein Verfechter der neuen sanften Psychiatrie, der andere ein Altnazi, den Daniels aus Dachau kennt. Noch schöpfen wir keinen Verdacht, noch fügen sich die einzelnen Puzzleteilchen zu einem hübsch perfiden Psychodrama zusammen, das als nächstes, wenn erst mal er Sturm losgeht, unsere beiden Marshalls in höchster Gefahr sehen wird.  Dann plötzlich taucht Daniels’ Partner einfach unter und die Achterbahnfahrt beschleunigt sich. Scorsese treibt die zunehmend groteske Handlung hübsch gründlich und zielstrebig voran, setzt nur hier und da einige Schocks ein und verlässt sich ansonsten auf die Wirkung einer Atmosphäre, die uns mehr und mehr den Boden der Sicherheit unter den Füßen fortzieht. Das gelingt ihm bis kurz vor Schluss auch ganz vorzüglich, erst dann stellen sich doch ein paar Längen ein, und die sehr ausführliche Auflösung des ganzen Mysteriums hätte für mein Gefühl so nicht sein müssen, das heißt, es wäre vielleicht doch viel reizvoller gewesen, die Dinge bis zum Schluss in der Schwebe zu belassen, anstatt sich letztlich doch festzulegen, wer hier verrückt ist und wer nicht. Zwischendurch besteht immer noch die Möglichkeit, dass Daniels doch das Opfer einer üblen ärztlichen Intrige geworden ist, noch immer schwingt in allem, was Kingsley sagt, eine spannende Zweideutigkeit, eine gewisse Drohung mit. Natürlich ist es auch möglich, dass das ganze eine gigantische Verschwörung gegen den unbequem neugierigen Ermittler ist, der auf die Insel gelockt wird, um dort mundtot gemacht zu werden, doch serviert uns Scorsese hier vielleicht deine Rückblende zuviel, um diesen Eindruck noch glaubhaft aufrecht zu erhalten. Dennoch ist ihm ein sehr spannendes, schaurig-schönes Stück aus dem guten alten Horrorkabinett geglückt, nicht zu effektlastig, gottlob auch nicht zu blutig und vor allem gar nicht dumm, sondern im Gegenteil äußerst clever und trickreich konstruiert, und natürlich vorgetragen von einer vorzüglichen Darstellercrew, die ihr Charisma und ihre Erfahrung optimal zur Geltung bringen. DiCaprio ist sehr beeindruckend, Ruffalo als sein Buddy hat es diesmal etwas schwer, aber Kingsley als der zwielichtige Chefarzt ist ein exzellenter Gegenspieler, dessen Szenen mir viel Spaß gemacht haben. Die stimmungsvollen Genrebilder und die schön dick aufgetragene drohende Musik tun ihr übriges für einen stilvollen, genüsslichen Kinoabend, so wie man ihn von Scorsese wirklich schon länger nicht mehr bekommen hat, wenn man seine Dokumentarfilme mal beiseite lässt. Manchmal ist es wohltuend, wenn einer seine Ambitionen und Prätentionen auch mal vergessen kann. (8.3.)