Séraphine (#) von Martin Provost. Frankreich, 2008. Yolande Moreau, Ulrich Tukur, Anne Bennent, Geneviève Mnich, Adélaïde Leroux, Nico Rogner
Wenn dieser Film zu gar nichts anderem nützlich wäre, dann wenigstens dazu: Er hat mich gelehrt, dass die sogenannte „naive Malerei“ weit entfernt ist von den, was ich bislang damit assoziiert habe, und dass der Begriff an sich schon höchst irreführend ist und für unsere Ohren eine Wertung enthält, die zumindest für die herausragenden Werke dieses Genres ganz und gar unzutreffend ist.
Wie zum Beispiel für die Werke von Séraphine Louis, aka Séraphine de Senlis, die 1942 78-jährig in geistiger Umnachtung in einem Heim starb, und deren Kunst zu ihren Lebzeiten kaum die Anerkennung erfuhr, die sie verdient gehabt hätte. Dass sie überhaupt noch in den zweifelhaften Genuss breiterer öffentlicher Aufmerksamkeit kam, war einzig dem unermüdlichen Engagement des deutschen Kunstsammlers und –mäzens Wilhelm Uhde zu verdanken, einem rastlosen Pendler zwischen Frankreich und Deutschland, zerrissen auch von den Zeitläuften (zwei Kriege, die Verfolgung als homosexueller Jude durch die Nazis usw.), dennoch früh interessiert an den Werken Picassos, Bracques oder eben auch der ersten „Naiven“ wie Henri Rousseau, die er besonders fördere und an deren späterem Erfolg er maßgeblichen Anteil hatte. Auf die Bilder Séraphines wird er 1914 durch Zufall aufmerksam, weil die in seinem Ferienhaus in Senlis als Putzfrau arbeitet – eine herbe, scheue Frau von 50, die tagsüber schuftet, um sich ihr Malerzubehör kaufen zu können und die nachts malt, wobei malen für sie ein mythisch-schöpferischer Akt ist, den sie singend und wie in Trance meditierend durchlebt und der faszinierende Blumengebilde in durchdringend intensiven, fast rauschhaften Farben hervorbringt, die in der Tat kaum einem ausschließlich rational getriebenen Geist entspringen könnten. Sie wird Uhde später erklären, dass die Bilder zu ihr kommen als eine Art göttlicher Auftrag, dem sie auch durch ihre enges Leben in und mit der Natur nachspürt. Erst Uhde bringt sie auf den Gedanken, ihre Kunst als Lebensunterhalt einzusetzen, und der unerwartete späte Wohlstand (sie ist mittlerweile über sechzig, hat lang für sich selbst gemalt und es dauert über zehn Jahre, bis Uhde sie nach Kriegsende wiedersieht) verleitet sie zu grotesker Verschwendung. Als die Anzeichen sich häufen, dass sie langsam ihren Verstand verliert, reagiert die Umwelt rigoros, sie wird weggesperrt,mit den damals üblichen Mitteln der Psychiatrie „behandelt“, und Uhde kann nur noch erreichen, dass sie in der Anstalt ein Zimmer für sich allein hat, wo sie in Ruhe noch zehn Jahre lebt.
Der Film fokussiert auf der Beziehung Séraphines zu Uhde und seiner Schwester, die immer mit ihm reist. Der hält sich in auffallend respektvoller Distanz zu den Figuren, dringt niemals zu tief in eine von ihnen, was nichts mit Oberflächlichkeit zu tun hat, sondern nur mit Diskretion und der wohltuenden Vermeidung von unzulässigen Spekulationen, die bekanntlich in Biopics oft angestellt werden. Uhdes Homsoexualität wird ebenso dezent behandelt wie Séraphines Innenleben, und wieso sollte man auch nach sechzig, siebzig, achtzig Jahren noch daran interessiert sein, sensationsgierige Bilder zu produzieren, zumal über Leute, die heutzutage nun wirklich keine Berühmtheit mehr darstellen. Beeindruckend an dem Film sind gerade seine Ruhe, seine Intensität, seine Behutsamkeit und auch Eindringlichkeit, die Ernsthaftigkeit, mit der diese vergangene Epoche nachempfunden wird, einmal die Zeit unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg, dem aufziehenden Hass auf die Boches, der Uhde und seine Schwester wieder zurück nach Deutschland treibt, und dann die Zeit zwischen den Weltkriegen, in denen es Uhde gelingt, die alten Kontakte zur Kunstszene wieder aufleben zu lassen. Einzig die Zeit der Naziherrschaft, die für Uhde recht dramatisch war und ihn zu einer langen Flucht durch Frankreich zwingt , bleibt so gut wie unerwähnt, doch ist dies letztlich ja auch kein Film über Uhde, sondern einer über Séraphine, und die befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits in einer anderen Welt, die von den politischen Ereignissen nicht mehr berührt wurde.
Hervorragende Schauspieler, schöne, atmosphärisch starke Bilder, ein sorgsam aufgebautes Drehbuch und die eindrucksvolle Bekanntschaft mit einer mir bislang gänzlich fremden Künstlerin machen diesen Film zu einer ziemlich sehenswerten Sache, und unter all den französischen Biopics, die ich im letzten Jahr gesehen habe (Sagan, Chanel, Piaf), ist die sicherlich der gelungenste. (7.1.)