Vincent will meer von Ralf Huettner. BRD, 2010. Florian David Fitz, Karoline Herfurth, Johannes Allmayer, Heino Ferch, Katharina Müller-Elmau

   Ein echtes Dreamteam on the road: Tourettesyndrom, Zwangsneurose, Magersucht. Drei junge Leute entfleuchen aus einer psychiatrischen Einrichtung, klauen den Saab der Chefärztin und machen sich auf den Weg durch die Alpen gen Italien, wo Vincent die Asche seiner Mutter ins Meer streuen will. Verfolgt werden sie von Vincents Vater (dominant-arroganter Politikerarsch) und besagter Chefärztin (schlechtes Gewissen, Magersuchtvergangenheit), und bis sich alles zu einem halbwegs runden, optimistisch gestimmten Ende fügt, gilt es einige Unwegsamkeiten, Un- und Zwischenfälle zu überstehen. Was natürlich nicht leicht ist, denn unsere drei Helden sind nicht gerade erfahren in den Dingen des alltäglichen Lebens, und auch ihre beiden Verfolger haben mit sich selbst soviel zu tun, dass sie ihrer eigentlichen Aufgabe nur mühsam nachkommen können.

 

   Wenn man dann noch den eher beknackten Filmtitel betrachtet und sich an all die platten Komödien oder Melodramen erinnert, die in den letzten Jahren mit Handicaps und Behinderungen alle Art punkten wollten, muss man eigentlich auf das Schlimmste gefasst sein. Ist es aber gottseidank nicht geworden, ist sogar ein richtig schöner Film daraus geworden, weil Drehbuch und Regie eben nicht auf den schnellen, billigen Effekt setzen, sondern sich ihren Figuren mit Respekt und Zuneigung nähern, und weil die durchweg hervorragenden Schauspieler genau diese Attribute auch in ihre Porträts einfließen lassen. Vincent, Marie und Alexander werden so zu kompletten Menschen mit Tiefen und Untiefen, Haken und Ösen, und ihre inneren Kämpfe und Defekte werden als solche ernst genommen und nicht im Dienste anbiedernder Komik denunziert. Das ist nicht selbstverständlich, wie man weiß. Und auch der auf den ersten Blick fürchterliche Vater und die verspannt-neurotische Ärztin bleiben nicht im Klischee stecken, sondern entwickeln im Verlauf ihrer eigenen Reise viele Facetten, die eine einseitige Parteinahme verhindern. Die Story ist gut getimt, und das Wechselspiel zwischen komischen und ernsten Momenten gut ausgewogen, mit einem Überhang des Ernsten gegen Ende, aber auch das ist der Entwicklung angemessen. Weder Vincent noch Alexander sind plötzlich freie, emanzipierte Leute geworden, dennoch entschließen sie sich, ihren eigenen Weg zu gehen und Marie beizustehen, die in einem italienischen Krankenhaus zwangsernährt wird, was im Grunde ein völlig offenes Ende bedeutet. Immerhin sieht es so aus, als hätten sich Vater und Sohn soweit angenähert, dass sie einander etwas besser verstehen und respektieren, was schon ein großer und wichtiger Schritt wäre, vor allem für Vincent und seine Zukunftsperspektive. Daran muss man als Zuschauer aber während des Films nicht denken, der ist eher dem Moment gewidmet, den tollen Bildern aus den Alpen und dem Motiv der Reise, das ja nach wie vor sehr attraktiv und brauchbar ist, wenn es darum geht, rein physische Bewegung auf innere, zwischenmenschliche Prozesse zu übertragen. Alles in einem ein wirklich gelungener, gut inszenierter und herausragend gespielter Film, der bewegt und unterhält und sein Thema nicht einfach verschenkt, wie so viele andere. (6.5.)