Cosa voglio di più (Was will ich mehr?) von Silvio Soldini. Italien/Schweiz, 2010. Alba Rohrwacher, Pierfrancesco Favino, Giuseppe Battiston, Fabio Troiano, Teresa Saponangelo, Monica Nappo, Tatiana Lepore, Gisella Burinato

   Das hatten wir ein paar Filme zuvor auch schon: Boy meets Girls und was dann daraus wird. Diesmal in der italienischen, genauer gesagt lombardischen Version und alles in allem ein ziemliches Stückchen ernster. Das liegt zuvorderst daran, dass weder Boy noch Girl frei sind – sie ist mit einem herzensguten, gemütlichen Dickerchen liiert und leidlich zufrieden (von glücklich möchte man irgendwie doch nicht sprechen), er ist verheiratet mit zwei Kindern und der typischen Existenz moderner, mäßig verdienender Familien, nämlich stets haarscharf am Rande der Insolvenz, was für die Ehepartner Dauerstress und viel Verdruss bedeutet. Als diese beiden dann aufeinander treffen, scheint es zunächst mal nur um Sex zu gehen, wilden, tollen Sex zwar, für den aber leider zu wenig Zeit und Raum zur Verfügung steht, denn er hat kaum Zeit im Familienalltag, und mit Ausnahme eines etwas öligen Motels für vier Stunden jeden Mittwoch gibt es keine Chance für Anna und Domenico. Schnell kommt auch, was kommen muss: Er lügt, seine Frau beginnt etwas zu ahnen, sie will alsbald doch mehr als nur einen Quickie pro Woche, hofft auf eine klare Entscheidung von ihm, doch wir alle kennen die Männer und wissen: Diese Entscheidung wird niemals kommen.

   Und so schwankt auch Anna wie all die Frauen vor ihr zwischen Hoffnung, Begehren, Enttäuschung, Schmerz und neuer Hoffnung und immer so weiter. Er vertröstet, verspricht, verdrängt, weicht aus, laviert hin und her zwischen seiner Rolle als Familienvater und dem neuen Kitzel als Liebhaber. Auf beides kann und will er nicht verzichten, und so kommt früher oder später der Konflikt, weil sie Klarheit braucht und ihrerseits Klarheit schafft und ihrem Freund reinen Wein einschenkt. Und eben dasselbe auch von ihm erwartet.

   Nachher dachte ich noch so, dass ich diese Geschichte ein einziges Mal ungekehrt erzählt sehen möchte, wahrscheinlich aber wäre dann nicht realistisch, denn dieses feige Rumeiern ist, ich muss es zu meiner eigenen Schande gestehen, typisch Mann. Dabei ist auch Domenico gar kein übler Kerl, eigentlich ein ganz lieber und knuffiger, dessen Dackelaugen auch unsere leidenschaftliche Anna immer wieder neu verfällt. Er meint’s wahrscheinlich nicht mal böse, er kann nicht anders, weil er sich nach Männerart immer vor der letzten Konsequenz drückt, einfach nicht bis zu Ende denken will. Denn das würde ja bedeuten, sich entscheiden zu müssen, etwas aufzugeben, etwas neues anzugehen. Er will am liebsten beides so behalten, und daran werden die beiden letztlich wohl scheitern.

 

   Nach dem großartigen „Tage und Wolken“ hat Soldini ein nicht minder großartiges Liebesdrama inszeniert, erneut vor großstädtisch kühler Kulisse, im regnerischen Mailand diesmal, und erneut hat er sich viel Zeit gelassen, vom Alltag seiner beiden Hauptfiguren zu erzählen, vom Job im Büro, vom abendlichen Treff mit Freuden, vom Alltag mit den Kindern und der Frau, vom abendlichen Gespräch im Ehebett und so weiter. Soldini erzählt mit viel Gefühl, aber nicht gefühlig, sondern bei alledem mit klarem Blick für’s Detail, auch für die etwas unbequemeren Dinge des Lebens. Die erotischen Begegnungen der beiden sind genauso schön und intensiv wie die zunehmenden Auseinandersetzungen bitterer werden und schon davon künden, dass es wohl mit beiden auf Dauer doch nichts wird. Die Schauspieler gestalten das grandios, nicht nur die beiden Protagonisten übrigens, die Bilder sind klar und schön, für italienische Verhältnisse eher schmucklos, aber das hat Soldini ja auch früher schon so gemacht, und es passt wunderbar zum verhaltenen Ton des Films. Eine „einfache“ Geschichte von „ganz normalen“ Leuten, und wie so häufig kommen die schönsten Sachen dabei heraus. (14.12.)