Welcome (#) von Philippe Lioret. Frankreich, 2009. Vincent Lindon, Firat Ayverdi, Audrey Dana, Derya Ayverdi, Olivier Rabourdin, Thierry Godard, Selim Akgul, Firat Celik

   Welcome steht da auf der Fußmatte des netten Nachbarn, doch das sollte man nicht zu wörtlich nehmen in einer Welt, die unterscheidet zwischen willkommenen und unwillkommenen Menschen und vor allem zwischen denen, die darüber entscheiden können, wer rein darf und denen, deren Zukunft von dieser Entscheidung abhängt. „Wolle mer se reinlasse?“ oder: „Das Boot ist voll“, je nachdem, wie man es sieht, auf jeden Fall haben die Europäer gemerkt, dass die Sache langsam unheimlich wird, und dass die jahrhundertlange Ausbeutung der übrigen Welt vielleicht doch noch auf sie zurückfallen könnte. Deshalb haben sie sich mit sichtbaren und unsichtbaren Grenzen, Zäunen, Gräben, Schranken verbarrikadiert und verbringen nun ihre Zeit damit, illegale Immigranten mit allen Mitteln fernzuhalten aus ihrem sauberen Vorgarten. Immigrant ist natürlich nicht gleich Immigrant, klar, es gibt richtige und falsche, gute und böse, ökonomisch interessante und ökonomisch uninteressante. Noch immer spielen die Europäer gern Schicksal, sie können einfach nicht anders.

   Diesmal ist es Bilal aus Kurdistan, der viertausend Kilometer zurücklegt, um seine Mîna wiederzusehen, Die lebt mit ihrer Familie schon in London, und nun steht er in Calais, schaut rüber auf die Kreidefelsen und ist nur noch einen schmalen Kanal von seinem Ziel entfernt. Der erste Versuch mit einer Gruppe anderer Illegaler im Lastwagen scheitert, und nun nimmt Bilal Schwimmunterricht, weil er einen anderen Weg finden muss. Sein Lehrer ist Simon, frisch geschieden, einsam und frustriert, der sich mit unerwartetem Engagement des Jungen annimmt und dafür eine Menge Ärger riskiert, denn die Gesetze in Frankreich sind rigide und die Nachbarn ebenso misstrauisch wie aufmerksam und jederzeit zur Denunziation bereit. Simon steht mit einem Bein im Gefängnis, seine Ex Marion, die sich ebenfalls für Flüchtlinge einsetzt, sieht in seiner Kamikazeaktion eher eine Gefährdung des fragilen Netzwerks und bittet ihn um Rückzug. Bilal hingegen kann nicht waren – Mîna soll von ihrem  Vater an einen anderen verheiratet werden. Sein zweiter Anlauf  als Kanalschwimmer führt ihn bis fast an die britische Küste, dann treibt ihn doch noch die Küstenwache auf und der Junge ertrinkt.

   Eine Tragödie aus unserer schönen neuen Welt, aus dem Global Village, dessen Bewohner immer engmaschiger und hermetischer denken, je globaler das ganze Chose nach außen wirken möchte. Es passt einfach nicht zu uns Menschen, dieses internationale, offene, freie Miteinander, wir blieben lieber im eigenen Viertel unter Unseresgleichen, und wenn wir partout Lust auf Anderes haben, dann gehen wir zum Italiener und fahren höchstens mal im Urlaub rüber ins fremde Ausland. Vielleicht ist es Zeit, sich das endlich einzugestehen und aufzuhören mit diesem widerlich verlogenen Getue, mit dem wir uns nur selbst im Weg stehen und uns zu Lüge und Heuchelei zwingen. Liorets Film ist außerordentlich eindrucksvoll, sehr berührend und ernsthaft, ohne auf laute Polemik oder verlogenen Kitsch zurückgreifen zu müssen. Stattdessen widmen er sich sehr ruhig und aufmerksam den wenigen Hauptfiguren und stellt die privaten Tragödien den politischen und gesellschaftlichen gegenüber. Die Gewichtung scheint auf den ersten Blick schief zu liegen, doch wenn man genauer hinschaut, ist die Perspektive klar und deutlich: Dieser Junge hat viertausend Kilometer hinter sich gebracht, um die Geliebte zu sehen, und ich gehe nicht mal über die Straße, um dich aufzuhalten, stellt Simon treffend fest, und damit ist schon alles gesagt. Der trübe Katzenjammer des unglücklich Verlassenen ist eine Sache, das Schicksal von Bilal und Seinesgleichen eine ganz andere, und ohne das eine gegen das andere aufwiegen zu wollen, wird schon klar, was existentiell ist was vorübergeht. Lioret bietet uns Bilal und Simon als Hauptpersonen an, die allerdings auch als Stellvertreter gesehen werden könnten – Bilal steht für Legionen von Immigranten, die Jahr für Jahr ihr Leben riskieren, und oft genug verlieren, um irgendwie einen Stück vom Kuchen zu kriegen. Ihr Schicksal ist grausam: Sie werden von brutalen Behörden gefoltert, von Schleppern ausgebeutet, verrecken in LKW, unter Zügen, in Booten oder sonst wo. Sie müssen minutenlang in Plastiktüten atmen, um der Kontrolle im Hafen zu entgehen, sie sind in der freien Welt ständig auf der Flucht, und auch die, die ihnen helfen wollen, werden mit erheblichen Gefängnisstrafen bedroht. In Frankreich stehen mehrere Jahre auf die Hilfe für Illegale, und das allgemeine gesellschaftliche Klima ist unangenehm und missgünstig, wie auch Simon erfahren muss. Seine Motive sind höchstwahrscheinlich nicht mal ehrenhaft - bislang war er unpolitisch, passiv, gleichgültig, womit er Marion vermutlich aus dem Haus getrieben hat, und nun plötzlich kennt sein Handeln kein Maß, keine Vernunft, wie das Himmelfahrtskommando eines Mannes, der nichts mehr zu verlieren hat und der in seinem Eifer übers Ziel schießt und ungewollt auch andere in Gefahr bringt. Zuvor eher desinteressiert und an Marions Engagement nicht beteiligt, ignoriert er nun jede Warnung, gerät in Untersuchungshaft und kommt nur unter strengen Polizeiauflagen wieder frei. Offenbar versucht er damit, seine eigene Trauer zu verarbeiten und zu kompensieren, doch hat seine Aktion auch etwas befremdliches.

 

   Lioret inszeniert den Film konzentriert als intensives, gedämpftes Drama, das sich auf das dichte Drehbuch, die gekonnt eingefangenen Schauplätze und die wirklich beeindruckenden Darsteller verlässt. Ein Film, der ohne große Töne wirkt, eine erschütternde Geschichte unter vielen ähnlichen, thematisch ein wenig an Michael Winterbottoms „In this world“ erinnernd, doch insgesamt weitaus zugänglicher und emotionaler und deshalb auch für uns Zuschauer greifbarer und näher. Starkes, bitteres Kino aus Europa, das offensichtlich in Frankreich direkt eine politische Debatte ausgelöst hat. Na bitte. (7.2.)