Where the wild things are (Wo die wilden Kerle wohnen) von Spike Jonze. USA, 2009. Max Records, Catherine Keener, Mark Ruffalo, Pepita Emmerichs

   Das Eintauchen in eine Phantasiewelt als Ausbruchsmanöver, um der tristen Gegenwart zu entfliehen, war schon häufig Hauptmotiv von Kinderbüchern und –filmen, und Maurice Sendaks berühmte Geschichte aus den 60ern gehört sicherlich zu den Klassikern der Zunft. Es gibt schon einen älteren Trickfilm aus den frühen 70ern, doch mit der aktuell zur Verfügung stehenden Technik hat man natürlich heutzutage kein Problem mehr, Realfilm und Computeranimation zu verknüpfen, und die allgemeinen Sehgewohnheiten sind mittlerweile schon so daran gewöhnt, dass sich wahrscheinlich niemand mehr über die im wahrsten Sinne des Wortes phantastischen Bilder wundert – sie sind Standard, und weniger als absolute Perfektion sollte man bei Budgets in dreistelliger Millionenhöhe nicht erwarten dürfen.

   Dieser Film ist teuer (oder sind schätzungsweise 100 Millionen, wie ich im Internet las, nichts besonderes mehr...?), dennoch wirkt er nicht aufgepumpt oder protzig, sondern im Gegenteil eher privat und auf sehr sympathische Weise versponnen. Erzählt wird die Geschichte von Max, der ziemlich allein zuhause ist: Mom und Dad sind geschieden und getrennt, Mom ist ständig gestresst, arbeitet oder widmet sich ihrem neuen Lover, die Schwester ist einige Jahre älter und lebt in einer anderen Sphäre, und Freunde sind weit und breit nicht zu sehen. Max ist meist für sich und lebt seine vitale Phantasie im Spiel aus. Als eines Tages alles zu viel wird und der Krach daheim eskaliert, reißt Max Hals über Kopf aus und landet per Segelboot auf einer fernen Insel, die von großen, wuscheligen Fellviechern bevölkert wird. Max stellt sich ihnen als König vor, wird sofort als solcher akzeptiert und lernt in der Folgezeit, wie schwer es sei kann, nicht nur Verantwortung für die ruppige Truppe zu übernehmen, sondern auch, sich seinen eigenen Baustellen zu widmen. Einiges gerät aus den Fugen, Max sieht sich unerwarteten Schwierigkeiten gegenüber, seine kurze Regentschaft wird bald in Frage gestellt, doch als er die wilden Kerle wieder verlässt und zurück nach Hause segelt, ist alles gut.

 

   Die Idee mit der Segeltour durch stürmische Gewässer ist nicht sonderlich überzeugend und weicht aus ganz unverständlichen Gründen von Sendaks Idee ab, Max in seinem eigenen Zimmer in einen Urwald eintauchen zu lassen. Sonst aber ist es Spike Jonze hervorragend gelungen, die Essenz der Geschichte zugleich einfühlsam und modern zu verarbeiten, wenngleich der Film sicherlich die Zielgruppe der jüngeren Zuschauer nicht erreicht – zwangsläufig, denn die Themen hier sind recht komplex und im  Grundsatz eher ernst.  Max entschlüpft dem aktuell eher lieblosen Alltag, in dem ein jedes Familienmitglied mit sich selbst beschäftigt ist und neben dem anderen lebt, auf diese Insel und in die Gesellschaft der eigentümlich sperrigen Zausel, die abwechselnd knuddelig und gutmütig daherkommen, dann aber auch jähe Aufwallungen von Aggressivität, Neid und Missgunst zeigen, und im Grunde natürlich nichts anderes sind als ein leicht verzerrtes Abbild jener Realität, der Max am liebsten ein für allemal entfliehen würde. Unwillkürlich oder auch unbewusst jedoch wird Max die Entscheidung treffen, die jeder treffen muss, dass man sich nämlich seinen Dämonen, Ängsten und auch Sehnsüchten stellen sollte, um mit sich ins reine zu kommen. Max erster Impuls, sich als vermeintlicher König über die anderen zu stellen und erst mal zu zeigen, wo es langgehen soll, entspringt dem Gefühl des Verlassenseins, der Vernachlässigung zuhause, doch erlebt Max sehr bald, dass dies nicht seine Rolle ist und sie ihn nicht glücklich machen wird. Im Gegenteil, sie isoliert ihn, sie sorgt für Misstöne und schließlich ernsthafte Konflikte, die nur beigelegt werden können, indem sich die Kontrahenten wieder einander zuwenden und von ihren eigenen verbohrten Standpunkten abrücken. Wie es sich für eine pädagogisch verantwortungsbewusste Geschichte gehört, formuliert sie einen deutlichen, aber nie zu platten Appell an Freundschaft und Toleranz, gegenseitigen Respekt und die Bereitschaft zur Akzeptanz und Rücksicht. Das ist sehr sympathisch und wird verarbeitet mit kauzigem Humor, zum Teil recht hintergründigen Zwischentönen in Sachen Gruppendynamik und dann auch wieder sehr direkten Emotionen, die jüngere Zuschauer eher ansprechen dürften als die oft sehr ruhigen und tiefgründigen Passagen mit Max und den wilden Kerlen. Das ist absolut kein Film, der einen direkt anspringt, kein echter Stimmungsmacher, sondern eher ein Film, der sein Anliegen auf andere Weise herüberbringen möchte. Ich finde, das ist ihm sehr gut gelungen, dank der liebevoll kreierten Viecher, dem hervorragenden Hauptdarsteller und der Idee, eine enorm bewegliche Kamera immer ganz dicht am Geschehen zu haben, sodass man teilweise fast aus Max’ Perspektive erlebt, was ihm da so zustößt. Auf jeden Fall mal eine originelle Alternative im sonstigen Pixeleinerlei. (24.1.)