Shekarchi (Zeit des Zorns) von Rafi Pitts. Iran/BRD, 2010. Rafi Pitts, Mitra Hajjar, Ali Nicksaulat, Hassan Ghalenoi, Manoochehr Rahimi
Apropos kein leichter Stoff – das ist wohl das mindeste, was man auch über dieses Werk hier sagen kann, nur gebe ich zu, dass mir nach knapp neunzig Minuten zunehmend die Bereitschaft fehlte, mich in irgendeiner Weise darauf einzulassen. Im Begleitheft war von „fesselnder Leuchtkraft“ und „lyrischem Kunstwerk“ die Rede, von brisantem, hochaktuellem Politkino – tja, mag alles sein, hat sich mir nur nicht mitgeteilt. Ich habe einen dunklen, kargen, weitgehend sprachlosen Film mit bestenfalls elliptisch entwickelter Handlung gesehen, was an sich kein Problem ist und was ja auch gut als Zustandsbeschreibung eines Landes, einer Gesellschaft oder eine Stadt dienen kann, was mich aber in diesem Fall zu keiner Zeit berührt hat. Wir sehen die Hauptfigur, Ali, der aus dem Gefängnis nach Hause zu Frau und Kind kommt, der nur einen Job als Nachtwächter kriegt, obwohl er darum bittet, tagsüber arbeiten zu dürfen, um endlich Zeit mit der Familie zu haben. Eines Tages sind Frau und Kind verschwunden, kurze Zeit später wird Ali von der Polizei knapp darüber informiert, dass die Frau irrtümlich bei einer Schießerei anlässlich einer Demo getötet wurde. Die Tochter bleibt zunächst verschwunden, wird dann aber auch tot gefunden. Ali nimmt sich ein Gewehr, schießt auf einen Polizeiwagen, tötet zwei Beamte, wird verfolgt, in einem Wald von zwei Polizisten gestellt, die sich aber anschließend verlaufen, weshalb das Trio endlos durch Wald und Regen irrt, bis dann die Geschichte an einer verlassenen Waldhütte gewaltsam mit Alis Tod endet.
Speziell die letzten zwanzig Minuten oder so zerren gewaltig an den Nerven, weil sie nirgendwohin führen und vor allem total vom bisherigen Thema ablenken. Wir haben einen Mann gesehen, gelähmt von Trauer und Wut, Wut auf die Behörden, die ihm nicht helfen und die nach seiner Meinung offenbar für den Tod seiner Familie verantwortlich sind. Bis hin zu seinem Rachefeldzug macht das Ganze noch einen Sinn, danach aber versinkt der Film in der zunehmend absurden Situation mit Ali, verletzt und gefesselt, und den beiden Polizisten, einem Ausbilder und seinem Azubi, wie es scheint, die sich in ständigem Streit befinden und Ali schließlich in die Fehde hineinziehen. Diese Episode läuft total ins Leere, es sei denn, die beiden Polizisten sollen auf irgendeine Weise eine symbolische Aussage zu Politik und Menschenrechten darstellen, was aber auch wesentlich knapper und präziser hätte geschehen können. Ali verliert seinen Status als handelndes Subjekt, er ist nur noch Objekt, Opfer, Taktiermasse der beiden konkurrierenden Uniformträger. Vielleicht liegt auch darin noch eine Absicht, mir jedoch hat das den Film noch stärker entfremdet als zuvor, und das war sowieso schon von Anfang an mein größtes Problem damit, dass ich nämlich überhaupt keinen Kontakt zu den Personen herstellen konnte. Ali ist ein dumpf und düster vor sich hinstarrender Typ, in dessen Gesicht absolut keine Bewegung zu sehen ist, der kaum spricht oder sonst Emotionen äußert, über den wir fast nichts erfahren, und so ist fast alles, was ihn betrifft, reine Spekulation. Er ist und bleibt ein Fremder, der sich monoton und isoliert durch eine Riesenstadt bewegt und zu nichts und niemandem Kontakt zu haben scheint, mit Ausnahme eben der Frau und der Tochter, und da sieht man für einen Sekundenbruchteil dann doch mal so etwas wie ein Lächeln, eine nachvollziehbare menschliche Regung. Die kurze Szene, in der seine Frau erklärt, sie habe ihre Schwangerschaft für ihn erfunden, um ihm Mut für die Haftzeit zu geben, und in der sie nun darum bittet, ein kleines Mädchen adoptieren zu dürfen, weil sie an ihn und eine gemeinsame Zukunft glaubt, gibt mehr her als die ganzen übrigen neunzig Minuten. Mit hängenden Schultern, hängenden Armen und hängendem Gesicht ist er das Abbild eines halbwegs gebrochenen Mannes, der irgendwo in sich dennoch einen Antrieb zu haben scheint, der ihn stoisch voranschiebt bis hin zu seinem sinnlosen Gewaltakt und der kopflosen Flucht durchs Land. Teheran als Handlungsort wird in ein paar eindrucksvollen Bildern eingeführt als moderner Moloch ohne Seele, doch fehlt dem Film meiner Meinung nach eine greifbare politische Dimension, es sei denn, man interpretiert und fantasiert sich selbst etwas zusammen, doch das alles ist rein spekulativ. Die Polizei ist autoritär, abweisend, wir hören was von der Todesstrafe, doch all das macht kein konkretes, präzises Porträt eines Landes aus, das gerade wieder ein extrem reaktionäres Regime ertragen muss. Natürlich geben die vorgestellten Personen und die triste Handlung keinen Stoff für eine strahlende Propagandaschau her, und wenn das allein schon die Absicht des Regisseurs gewesen sein soll, bitte, dann hat er sie meinetwegen erreicht. An mir allerdings ist der Film größtenteils weit vorbeigegangen, was mal wieder schade ist, denn aus dem Iran hört und sieht man herzlich wenig, und da sind Kinofilme oft eine willkommene Gelegenheit, mal wieder was über ein fremdes und fernes Land zu sehen und zu erfahren. (14.4.)