Na Putu (Zwischen uns das Paradies) von Jasmila Žbanić. Bosnien-Herzegowina/ Österreich/ BRD/Kroatien, 2009. Zrinka Cvitešić, Leon Lučev, Ermin Bravo, Mirjana Karanović, Marija Köhn
Eine Geschichte von heute: Sarajevo nach dem Krieg, noch immer sieht und spürt man die Folgen des Krieges, an den Gebäuden und in den Leuten. Amar war Soldat im Krieg, hat danach alle Kontakte gekappt und ein neues Leben begonnen. Er ist nun Fluglotse und lebt mit Luna, einer Flugbegleiterin zusammen. Luna hat ihr Leben fest im Griff, die beiden wünschen sich ein Kind, hatten aber bisher keinen Erfolg. Sie erlebt ihn manchmal als großen Jungen, der die Dinge gern mal laufen lässt und auch gern mal einen hebt. Als er alkoholisiert im Dienst erwischt wird, droht ihm der Jobverlust, wenn er sich eine Therapie mitmacht, doch schon beim ersten Alkoholikertreffen wird klar, dass er wohl nicht dabei bleiben wird. Bei einem Ausflug trifft er zufällig einen ehemaligen Kriegskameraden wieder, Nahrija, der sich einer fundamentalistischen Spielart des Islam zugewandt hat und ein Wahhabit geworden ist. Als er Amar anbietet, in ihrem Camp weit draußen an einem See einen Computerkurs für Kinder abzuhalten, und dieser gern zusagt, gerät die Beziehung zu Luna endgültig aus dem Gleis. Amar verändert sich, taucht immer mehr in die Gemeinschaft der Wahhabiten und ihre Glaubensgrundsätze ein, und Luna erlebt ihn als zunehmende unzugänglich und abweisend. Sie besucht ihn in dem Camp, trifft dort auf eine radikal islamistische, strikt konservative Gemeinschaft, deren Werte und Dogmen nichts mit Lunas und Amars altem Leben in der modernen Großstadt zu tun haben. Amars Umerziehung schreitet unerbittlich und drastisch voran: Morgendliche Gebete auf dem Teppich im Schlafzimmer, regelmäßige Gänge in die Moschee, kein Alkohol, kein Händedruck mit unreinen Frauen, kein Sex vor der Ehe, eine komplette Abkehr vom früheren Leben. Er sagt, er habe einen neuen Sinn und Frieden gefunden, doch an seinen Gefühlen für Luna habe sich nichts geändert. Sie versucht lange, mit dieser Situation klarzukommen und ihn so zu akzeptieren, wie er ist, doch entfremden sich die beiden immer mehr, und schließlich bricht sie die geplante künstliche Befruchtung ab, und als sie feststellt, dass sie wie durch ein Wunder doch schwanger geworden ist, teilt sie Amar mit, dass sie ihn verlassen und das Kind vielleicht sogar abtreiben wird.
Wohlgemerkt, auch Luna ist Muslime, doch lebt sie mit ihrer Familie (vor allem der geliebten Großmuter, bei der sie nach der Vertreibung aus dem Elternhaus und dem gewaltsamen Tod der Eltern aufwuchs) einen anderen, freieren, moderneren Glauben. Der Dogmatiker Amar trifft beim Zuckerfest auf diese Form des Islam und hält eine flammende Rede, die dazu führt, dass Oma ihn kurzerhand rausschmeißt und ihm klarmacht, dass sie in ihrem Haus noch immer das sagen hat und sich keine Vorschriften in Bezug auf ihre Lebensführung machen lassen wird. Amar wird nicht nur Luna, sondern auch uns fremd: Aus einem sympathischen, wenn auch ziemlich verantwortungslosen Burschen wird ein dunkler, strenger, verschlossener Typ, der nach strengen Grundsätzen lebt und sich vom modernen Leben, das er selbst bisher aus vollen Zügen genossen hatte, radikal abwendet. Der Trick dabei ist, dass Jasmila Žbanić überhaupt niemanden hier einseitig verurteilt oder an den Pranger stellt und dennoch auf eindrucksvolle Weise zeigt, wie wir die Veränderung eines Menschen erleben und wahrnehmen. Luna versteht die Welt nicht mehr, kämpft um den Mann, mit dem sie trotz aller Probleme soviel Spaß hatte und den sie so geliebt hat, spürt aber bald, dass sie keine Chance hat gegen den totalitären Einfluss der Fundamentalisten, die Amar mit Haut und Haaren vereinnahmen, bis er ganz einer der Ihren geworden ist. Was er einst lustvoll ausgelebt hat, ist nun schmutzig und sündig, Frauen sind nur noch Objekte zweiter Klasse, und sein ganzes Denken und Handeln ist einzig auf die Erfüllung der höheren Aufgabe ausgerichtet. Luna, die zu dieser Umkehr nicht bereit ist, dennoch versucht, Amar weiterhin so zu nehmen, wie er ist, erlebt die Unvereinbarkeit der Welten immer drastischer, bis sie nicht mehr kann und aufgibt. Ein ganz schmerzhafter Moment in dem Film, von Žbanić ganz still und wunderbar in Szene gesetzt, so wie der ganze Film überhaupt wunderbar ist, ein großartig intensives, fantastisch gespieltes Drama eines Liebespaares, das sich buchstäblich verliert, ohne dass von Schuld oder bösem Willen die Rede sein kann. Amars Entwicklung kommt zwar überraschend, ist aber dennoch motiviert nach seinem Absturz und den offensichtlichen Schwierigkeiten, wieder auf die Beine zu kommen, Die Wahhabiten bieten Gemeinschaft, Schutz und Orientierung, eine klassische Konstellation für Leute, die glauben, im bisherigen Leben gescheitert zu sein. Das eigentliche Drama spielt sich in Luna ab, denn während er durchaus im reinen mit sich und dem neuen Leben ist, will sie ihre alte Beziehung natürlich nicht aufgeben und will vor allem auch keine vermummte, verstummte Frau werden, deren einziger Zweck darin liegt, zu ihrem Mann aufzusehen und seinen Ruhm zu dienen. Ihre verzweifelten und ziemlich kopflosen Ausflüge in die Spaß- und Nachtwelt der Stadt bieten zwar auch keine wirkliche Alternative, doch als sie wieder zur Besinnung gekommen ist, kann sie ihre Entscheidung treffen und vertreten. Keine Emanzipationsgeschichte, erst recht keine Erfolgsgeschichte, eher die Geschichte einer Frau, die an ihre Grenzen gerät und erkennt, dass sie nicht weitergehen kann, weil sie sich sonst auch noch verlieren würde.
Neben den sehr eindringlichen Szenen mit Luna und Amar bekommen wir auch einen starken Eindruck von Sarajevo, einer Großstadt, die sich langsam vom Trauma des Krieges gelöst hat, aber auch um einen gewissen Preis. Vieles ist unaufgearbeitet geblieben, unzählige private Schicksale von Verlust und Vertreibung, vieles wirkt wie der hysterische Versuch, Anschluss ans moderne westliche Leben zu finden, und andererseits gibt es hier auch eine sehr komplexe und vielgestaltige Szene unterschiedlichster Glaubensgruppen mit langer Tradition, die, wie man im Film sieht, auch in sich sehr heterogen sind, und die irgendwie miteinander klarkommen müssen. Diese Unterschiedlichkeit findet ihre Fortsetzung logischerweise im Privaten, in en Bewältigungsstrategien: Amar hat seine Verletzung tief in sich verschüttet, hat alle Kontakte abgeschnitten und spricht nicht über den Krieg, bei Luna hingegen bricht der Schmerz immer dann auf, wenn sie ihr Elternhaus besucht, das nun von anderen bewohnt wird. Anders aber als Amar sucht sie keine Zuflucht zu einer doktrinären, autoritären Glaubensgruppe, sondern sie versucht, das Erlebte im Alltag zu verarbeiten und für sich eine Perspektive zu schaffen. Sie und Amar entwickeln sich in grundsätzlich konträre Richtungen, weshalb ihr Schritt am Schluss konsequent und unvermeidlich ist.
Wie gesagt, eine Geschichte von heute, eine Geschichte aus Europa, die viel aussagt über den Zustand des Kontinents und der Menschen zwischen religiösen und politischen Konflikten, deine private Geschichte in größerem Zusammenhang, aber dennoch ein großartiges, ganz intimes und konzentriertes Drama, das keine schrillen Entgleisungen nötig hat, und das mich von Anfang bis Ende stark bewegt hat. (20.9.)