127 Hours (#) von Danny Boyle. England/USA, 2010. James Franco,  Amber Tamblyn, Kate Mara, Clémence Poésy                                                                                                       

   127 Stunden verbringt Aaron Ralston, ein ungestümer Trekkingfreak, in dieser Felsspalte in einem Canyon in Utah – gefangen von einem großen Felsen, der seine rechte Hand eingeklemmt hat und sie nicht wieder preisgeben will. Und weil er nach diesen 127 Stunden dem Tode sehr nahe ist, ohne Wasser und Nahrung, und andererseits aber auch nicht sterben will trotz tiefster Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit zwischendurch, entschließt er sich, lieber einen Körperteil zu opfern, um zu überleben, was ihm letztlich auch gelingt. Und das ist auch noch eine tatsächlich erlebte Geschichte.

   Mit furiosem Rhythmus brettert Danny Boyle in den Film hinein, dröhnt uns mit rasanter Musik und wilder Splitscreen voll und gegen Ende geht’s noch mal so los, und was auf den ersten Blick bloß wie reine Effekthascherei und unsinnige Betriebsamkeit mit Werbeclipästhetik aussieht, verfolgt auf den zweiten Blick doch einen gewissen Sinn, jedenfalls habe ich mir das so zurechtgelegt. In diesen Montagen erscheint eine moderne Zivilisation, die sich ganz der Bewegung, der Mobilität, der Fitness und dem Körperkult verschrieben hat. Totale Freiheit, totale Unabhängigkeit, unbegrenzte Möglichkeiten – Reste dieser amerikanischen Urtugenden und Mythen kommen immer wieder zum Vorschein, wenn sich junge Burschen und Mädel aufmachen, zu Fuß, auf dem Bike, am Kletterseil, im Paddelboot, Kanu, Gleitschirm oder auf welche Weise auch immer zu neuen Abenteuern aufzubrechen, ihren ganz persönlichen Kampf gegen die Natur aufzunehmen und natürlich zu gewinnen. So ein Typ ist Aaron Ralston, ein erfahrener Trekker mit voll professioneller Ausrüstung, der sich in der kargen Canyonlandschaft perfekt auszukennen glaubt, der mal so im Vorübergehen zwei nicht minder abenteuerlustigen Girls zu einem unerwarteten Kick verhilft (und zwar ganz anders, als man annehmen wollte), der natürlich seine Ehre daran hängt, alles ganz allein und ohne Hilfe zu schaffen und auch ohne jemanden über sein Vorhaben und seine Route zu verständigen, was ihm dann fast zum Verhängnis geworden wäre. Dass so ein Mustersportler sich schließlich in einer solch grotesken Situation wiederfindet, die ihn völlig hilflos und vor allem bewegungsunfähig sieht, das hat eine gewisse Ironie, fast schon Häme an sich, die Boyle zu keiner Zeit betont oder auch nur andeutet, die aber dennoch immer mitschwingt, gerade wenn man sich an die Anfangssequenz erinnert, die später in der Rückschau wie eine grimmige Parodie auf den globalen Fitnesswahn wirkt. Diesen Unterton fand ich besonders interessant in einem Film, der geradezu musterhaft vorführt, wie man fast eine einzige Situation mit atemberaubender Spannung und immer neuen Nuancen gestalten kann. Ralstons ebenso einfallsreiche wie vergebliche Versuche, sich zu befreien, seine Erfahrungen mit großen Ameisen, einem sintflutartigen Gewitterregen, allerhand Halluzinationen nahe der völligen Dehydratation und einem insgesamt völlig neuen Naturerlebnis, seine Erinnerungen an schöne und weniger gelungene Momente und sein verbissener innerer Kampf gegen die Resignation und die Selbstaufgabe fügen sich zusammen zu einem sehr konzentrierten, intensiven Film, dessen virtuose Gestaltung sicherlich eine bewusst ausgestellte Attraktion ist, aber eine, die sehr kalkuliert und bewusst eingesetzt wird als Spiegelbild und zugleich Markenzeichen einer modernen Welt, in der das Ausdehnen von Grenzen zum Kult geworden ist. Extremsportler, Adrenalinjunkies, alle möglichen Nerds und Freaks sind auf der Piste, um sich abseits der Betonwüsten den letzten, den ultimativen Kick einzuverleiben, so wie auch Ralston den beiden Mädels erklärt, dass er sich eigentlich nur lebendig fühle, wenn er hier draußen in den Canyons unterwegs sei. Eine geradezu absurd verkehrte Art der Entfremdung, die nun durch Ralstons beinahe tödliches Erlebnis wiederum ad absurdum geführt wird. Natürlich, so verrät uns der Schlusstext, klettert Aaron auch nach dem Verlust seines rechten Unterarms weiter, nur hinterlässt er nun immer eine Nachricht, wo er sich befindet. Hier wird eine moderne Variante des klassischen Abenteuerhelden vorgestellt, dessen ganze Widersprüchlichkeit und Zwiespältigkeit in diesem Film als ständig mitlaufender Subtext verhandelt wird. Boyle muss daraus wie gesagt keine große Sache machen, mich aber das genau dieser Aspekt an der ganzen Story am meisten fasziniert.

   Faszinierend ist auch einmal mehr Boyles unerhört dynamischer, atemloser Stil, faszinierend sind die Bilder zwischen digitalem Gewackel und grandiosen Landschaftspanoramen vom Meister Dod Mantle, und faszinierend ist natürlich die Darstellung James Francos, der den Film praktisch im Alleingang wuppt und dies ebenso unaufdringlich wie brillant nuanciert bewerkstelligt. Alles in allem in dies hochenergetisches, elektrisches Abenteuerkino über eine Grenzerfahrung im wörtlichsten Sinne, das die Adrenalinausschüttung des Publikum unentwegt anregt und zugleich ganz nebenbei als eine böse kleine Travestie angesehen werden könnte (wie gesagt – meine Wahrnehmung!). (9.3.)