Never let me go (Alles, was wir geben mussten) von Mark Romanek. England, 2010. Carey Mulligan, Andrew Garfield, Keira Knightley, Charlotte Rampling, Sally Hawkins
Eine tragische Geschichte von Liebe, Freundschaft und Eifersucht in einer Schönen Neuen Welt, auf die Aldous Huxley stolz gewesen wäre. Kazuro Ishiguro führt in seinem Roman das Motiv der Entmenschlichung unter Einbeziehung aktueller medizinischer und ethischer Trends konsequent auf die Spitze, macht daraus allerdings weniger eine scharfe Satire im Geiste der großen britischen Vorbilder als eher ein menschliches Drama, dies allerdings nicht weniger kunst- und wirkungsvoll. Die Grundidee: In einer Zeit, da die menschliche Lebenserwartung auf die hundert zugeht und der Anspruch an die Möglichkeiten der Medizin entsprechend gestiegen sind, entschließt man sich, zur Aufrechterhaltung dieses Standards menschliche Klone als eine Art Ersatzteillager zu züchten, die dann mit Anfang zwanzig anfangen, ihre Organe zu spenden und zwar solange, bis sie sterben. Zuvor werden sie auf Internaten sorgsam gehegt und gepflegt, körperlich wie geistig und darüber hinaus im Kunstunterricht darauf überprüft, ob sie über eine Seele verfügen. Die Geschichte stellt drei dieser Klone in den Mittelpunkt: Cathy, Ruth und Tommy. Cathy verliebt sich als Mädchen in Tommy, doch die eifersüchtige Freundin schnappt ihr den Jungen weg, was Cathy nie ganz überwinden kann. Erst Jahre später sehen sie sich wieder, Cathy als Betreuerin für sterbende Spender, Ruth und Tommy bereits nach ihrer zweiten Spende, und Ruth, die entkräftet und dem Tod nahe ist, gibt endlich zu, sich Tommy einst nur aus Machtstreben geangelt zu haben und entschuldigt sich bei den beiden Freunden. Cathy und Tommy versuchen, einen Aufschub für ihre Spenden zu erwirken, doch vergeblich, sie können die verlorene Zeit nicht nachholen.
Als Drama funktioniert der Film großartig – die drei Hauptdarsteller sind exquisit, die Regie und das Drehbuch von Alex Garland akzentuieren die erschütternde Ausweglosigkeit der Liebe von Cathy und Tommy sehr wirkungsvoll. Aus einer Kinderfreundschaft wird Rivalität, Cathy bleibt das dritte Rad am Wagen, schaut sich das vermeintliche Glück der beiden aus der Ferne an, Ruth genießt ihren Triumph und genießt es auch, sich Cathy gegenüber als die Siegerin aufzuspielen. Sie gönnt der Freundin die Liebe einfach nicht, und diese Missgunst wiegt umso schwerer, als die drei nicht soviel Zeit haben wie anderen, denn wenn die Zeit des Spendens losgeht, wird ihr Leben bald vorüber sein. Das ist zum Schluss wirklich tragisch und bewegend, und wenn Tommy dann doch einmal ein verzweifelter Gefühlsausbruch widerfährt – der einzige im gesamten Film – bricht alles aus ihm heraus, was er jahrelang verkapselt hatte, so wie es den Klonen des Eliteinternats Hailsham wohl auch anerzogen worden war.
Als kritische Vision hingegen hat der Film für mich einige Lücken, die auch Zuschauer, die gern mal mitdenken, nur schwerlich auffüllen können. Zweifellos ist dies ein Film, der einer Nachbereitung bedarf, was ihn an sich schon mal auszeichnet, doch bleiben einige Aspekte so unscharf und ungenügend entwickelt, dass selbst nachträgliche Diskussionen weitgehend auf Spekulation gründen. Vor allem die Rolle des Internats als Erziehungsanstalt hätte meines Erachtens nach sehr viel ausführlicher und klarer herausgearbeitet werden müssen. Es herrscht ein gewisser strenger Drill, das sehen wir, doch worauf genau gründet er? Wer legt das Curriculum fest? Wer zieht die Fäden, der Staat, die Wirtschaft oder wer? Wie kommt es, dass man sich für die Seelen der Klone interessiert, wo es später doch nur um ihre Organe geht und so etwas wie eine Seele eigentlich nicht von Belang sein dürfte? Warum erzieht man die Klone überhaupt, wenn sie doch nur kurz zu leben haben und sie lediglich als Ersatzteillager funktionieren müssen? Wie kommt es, dass die Klone nicht gegen ihr Schicksal aufbegehren, auch wenn sie früher oder später davon erfahren? Es muss also so etwas wie eine Gehirnwäsche in Hailsham geben, nur sehen wir nichts davon. Wieso geht man das Risiko ein, die Klone nach dem Abschluss der Schule jahrelang frei leben zu lassen, wo sie doch jede Menge Schaden nehmen könnten? Und so weiter – viele Fragen werden aufgeworfen, wenige beantwortet, und was unter Umständen anregend und spannend sein kann, hat mich in diesem Fall eher gestört, denn das Konstrukt bleibt sehr lückenhaft und in vielen Details nicht schlüssig. Schade, denn diese Vision ist so grausam und doch gar nicht so weit von unserer Realität und unseren Möglichkeiten entfernt, dass sich Stoff für eine wirklich gepfefferte Ethik- und Medizinkritik angeboten hätte.
Wer es also schafft, sich allein auf die gescheiterte Liebe zwischen Cathy und Tommy zu konzentrieren, der wird einen sehr gekonnt inszenierten, intensiven und auch sehr traurigen Film genießen können. Wer sich allerdings für den thematischen Hintergrund etwas mehr interessiert, der wird bei aller Faszination für die Gestaltung ein paar Fragezeichen zuviel mit nach Hause nehmen – so ging es mir jedenfalls und das fand ich gerade bei solch fabelhaften Möglichkeiten etwas schade. (14.4.)