Zena sa slomljenim nosem (Belgrad Radio Taxi) von Srdjan Koljevic. Serbien/BRD, 2010. Nebosja Glogovac, Anica Dobra, Branka Katic, Nada Sargin, Jasna Zalica, Vuk Kostic, Stipe Erceg
Die genaue Übersetzung des Originaltitels – „Die Frau mit der gebrochenen Nase“ - weist direkt auf die Figur hin, die wie ein Katalysator die Handlung anstößt, um die herum sich die übrigen Personen gruppieren, und deren jeweiliges Leben dann wellenförmig von einer einzigen Wahnsinnstat erfasst wird. Gerade ist Jasmina zu Gavrilo ins Taxi gestiegen, mitten im Regen und im üblichen Stau auf der großen Brücke über die Save, da springt sie plötzlich wieder hinaus und hinein in den Fluss tief unten. Nicht nur Gavrilo ist Zeuge ihres Selbstmordversuchs, sondern auch die Lehrerin Anica und die Apothekerin Biljana. Und dann gibt es da noch ein kleines Problem: Jasmina hat auf dem Rücksitz des Taxis ein Baby zurückgelassen...
Die folgenden knapp einhundert Minuten zeigen dann, wie sich die einzelnen Wege dieser drei Menschen nach dem Unglück verändern. Gavrilo hat zunächst mal das Kind an der Backe, weswegen er eine befreundete Prostituierte zu Hilfe holt. Er stöbert Jasmina schließlich in einem Krankenhaus auf und versucht, die junge Frau irgendwie wieder in die Spur zu kriegen, was aber nicht ganz so leicht ist, denn da gibt’s ja noch den Vater des Babys. Anica hat selbst noch den traumatischen Tod ihres kleinen Sohnes zu verarbeiten und wird durch Jasminas Sprung wieder darauf gestoßen. Immerhin setzt sie sich nun wieder damit auseinander und sucht endlich einen Weg aus der inneren Isolation, wobei ihr einer ihrer Schüler hilft, der ihr seit längerem auf den Fersen ist. Bijana löst Hals über Kopf ihre Verlobung, lässt die schon fest geplante Heirat platzen und braucht erst mal etwas Zeit für sich, bis sie sich ihrer Gefühle sicherer sein kann. Noch auf der Brücke steigt sie aus dem Wagen des Verlobten in den nächstbesten anderen, den just Anica steuert. Indem sich die beiden Frauen näher kommen, helfen sie sich gegenseitig bei dem Bemühen, ihrer Verwirrung bzw. Trauer beizukommen.
Srdjan Koljevic findet einen reizvollen Ton zwischen Ernst, Melancholie und schrägem Humor, so wie man ihn von einem Balkanfilm erwarten darf. Seine Hommage an die Stadt Belgrad bedient nicht das gewohnt platte Wohlfühlkino, sondern porträtiert in knappen Zügen eine Stadt zwischen Geschichte und Gegenwart, zwischen Tito, dem Bürgerkrieg und einer Zukunft, die unweigerlich vor der Tür steht, von der aber noch niemand so recht weiß, was sie bringen wird und der dementsprechend jedermann mit einiger Skepsis entgegen sieht. Eine Stadt zwischen Alt und Neu, auch im wörtlichen Sinne, denn die Brücke, auf der sich täglich zuverlässig die Autos zum großen Stau treffen, verbindet Neu-Belgrad mit Alt-Belgrad, und wenn man dort stundenlang im Stopp-and-go zubringt, hat man schon Zeit und Muße, diesen Umstand zu würdigen. Eine Stadt, die auch ein bisschen um ihr Profil ringt und die offenkundig nicht ganz aufgehen möchte im modernen westlichen Einheitsbrei, weshalb hier auch durchgehend und konsequent alter Jugo-Rock zu hören ist, täglich gespielt von einer alten Radiostation, die sich auf dem Weg zur unausweichlichen Schließung befindet, weil sich eben die neue Zeit (gerne auch „Fortschritt“ genannt) nicht aufhalten lässt. Wir sehen vier Leute in einigermaßen verfahrenen Lebensmomenten – den stockigen, recht einsamen Gavrilo, die offenbar labile und konfuse Jasmina, die ebenso konfuse Biljana und die in Trauer erstarrte und ebenfalls einsame Anica. Sie alle werden plötzlich durchgerüttelt und machen sich auf den Weg, die einen freiwillig, die anderen weniger, aber ihr Leben gerät wieder in Bewegung, und wie der Film deutlich zu verstehen gibt, ist alles besser als die Stagnation. Die Milieuschilderungen sind sehr gelungen, eindringlich und authentisch, die Schauspieler sämtlich erste Sahne, die Typen originell und eigenwillig, und die Balance zwischen dem Ernsten und dem Komischen perfekt gelungen. Dennoch hat der Film so seine Längen zwischendurch und er kann wie alle Filme dieser Art nicht ganz verhehlen, dass er durch und durch konstruiert ist, das heißt, dass hier eine sehr kleine Stadtwelt präsentiert wird, in der sich die wenigen Protagonisten wieder und wieder über den Weg laufen, was in einer Millionenstadt doch eher unwahrscheinlich ist. Insgesamt funktioniert die Geschichte als Liebeserklärung an Belgrad und seine Menschen gut, hätte einige Straffungen vertragen können und ist als filmisches Lebenszeichen vom Balkan nicht so einprägsam wie einige andere Filme, ist aber dennoch natürlich sehr sympathisch und unterhaltsam anzusehen. (2.8.)