Biutiful (#) von Alejandro González Iñárritu. Spanien/Mexiko, 2010. Javier Bardem, Maricel Àlvarez, Guillermo Estrella, Eduard Fernández, Hanaa Bouchaib, Cheikh Ndiaye

   Biutiful ist natürlich gar nichts im neuen Film von Meister Iñárritu, nur das Versprechen auf ein Leben nach dem Tod, von dem zum Auftakt und zum Abschluss kurz die Rede ist, eine Art Sehnen nach Ruhe, Frieden und Schönheit nach all der Hässlichkeit und dem Leid im irdischen Leben. Und davon gibt’s hier reichlich genug: Uxbal lebt als windiger Kleinganove in Barcelona, lässt auf den Straßen nachgemachte Ramschware verkaufen und hat Kontakte zu einer dubiosen asiatischen Schleppermafia, die Illegale einschleust und sie unter Tage in irgendwelchen Fabriken schuften lässt. Uxbal lebt getrennt von seiner psychisch labilen Frau Marambra, die ihr Geld zumeist als Prostituierte verdient, unter anderen auch bei Uxbals eigenem Bruder, und er hat sich auch das Sorgerecht für die beiden Kinder Ana und Mateo erstritten. Er hängt an den beiden, leidet im Grunde darunter, dass er ihnen kein wirkliches Vorbild ist, und versucht, sie vor dem chaotischen Einfluss ihrer Mutter abzuschirmen, ohne zu bedenken, dass ihre wüsten Auseinandersetzungen oft noch mehr Chaos und Angst auslösen. Seine ganze Welt gerät endgültig aus den Fugen, als er erfährt, dass er, der sich schon lange mit Schmerzen herumgeschlagen hat, Prostatakrebs im Endstadium hat, und als durch eine katastrophales Unglück durch eine undichte Gasflasche ein ganzer Raum voller chinesischer Immigranten ums Leben kommt. Das ewige Hin und Her mit Marambra zermürbt ihn ebenso wie die Angst um die Zukunft der Kinder, eine Angst, die sich auch zum Ende seines Lebens nicht auflösen wird.

 

   Eine moderne, dunkle, schroffe Passionsgeschichte, getrieben von dem wie immer sehr kraftvollen Stil des Regisseurs, eindrucksvoll gespielt von Javier Bardem, der mit ganzem Körpereinsatz und voller Präsenz eine wirklich starke Vorstellung gibt. An ihm liegt’s wohl zuletzt, dass „Biutiful“ das gewisse Etwas fehlt, das Meisterwerke wie „21 Gramm“ oder „Babel“ so herausragend machte. Obwohl Iñárritu das ganz große Pathos irgendwie vermeiden kann, zeigt der Film einen gewissen Fatalismus, der in diesem Falle eher hinderlich ist, weil sich eigentlich nicht viel entwickelt hier. Die Ausgangskonstellation unterscheidet sich nur in wenig von der am Ende, höchstens ist alles noch ein wenig dramatischer und aussichtsloser geworden. Uxbal wird nach einer quälenden Zeit der Schmerzen und des Blutpinkelns sterben, die Zukunft seiner Kinder ist extrem ungewiss, da Marambra keine Anzeichen von Stabilisierung erkennen lässt und das afrikanische Kindermädchen sich Geld schnappt und mit ihrem eigenen Kind gen Flughafen eilt, um zurück in die Heimat zu gelangen. Uxbals Geschäfte haben sich als so schäbig, mies und vor allem erfolglos entpuppt, die afrikanischen Straßendealer werden von der Polizei aufgemischt und bös vertrimmt, und das furchtbare, wenn auch versehentliche Sterben der chinesischen Illegalen gibt seinem Selbstwertgefühl den Rest. Immerhin erscheint er hier als ein Mann mit Skrupeln und mit so etwas wie Verantwortungsgefühl, auch wenn er vieles nicht auf die Reihe kriegt, vor allem ein Sicherheit und Geborgenheit gebendes Familienleben. Iñárritu verteilt hier keine Schuldzuweisungen, stellt sich niemals einseitig auf diese oder jene Seite, und obgleich wir Uxbal fast ständig physisch nahe sind, hält er eine gewisse Distanz, durchleuchtet seine Personen niemals ganz, was ihm eine interessante Ambivalenz gibt und uns die Freiheit, unsere Meinung zu ihm immer wieder zu revidieren. Dieser Offenheit, die neben der starken Optik vielleicht die größte Stärke des Films ist, findet ihre Entsprechung in einer Dramaturgie, die sich zweieinhalb Stunden Raum gibt, um die dunklen Seiten der Stadt und ihrer Bewohner auszuloten. Zwielichtige Hinterzimmerkneipen, Kellerverschläge, in denen illegale Immigranten unter kaum noch menschlichen Bedingungen hausen, Straßenmärkte, auf denen andere illegale Immigranten allerhand Kram verticken, und dazu abgewrackte Behausungen, die alles andere als glamourös sind (und die Woody Allen in seinem Barcelonafilm todsicher links liegen gelassen hätte) formen zusammen ein schäbiges Universum, in dem folgerichtig keine Gewinner leben und keine Erfolgsgeschichten geschrieben werden. Iñárritu erzählt von dem Ringen um Würde, das ebenso kraftzehrend ist wie der Verlust derselben, und indem sich Uxbal zwischen diesen beiden Polen beständig aufreibt, fristet er sein Leben. Man sieht ihm das praktisch mit der ersten Einstellung schon an, und im folgenden verbringen wir die ganze lange Zeit damit zuzuschauen, wie diese Prophezeiung ihrer unausweichlichen, trostlosen Erfüllung zustrebt. Und genau das mag ich vielleicht nicht immer gleich gern mit ansehen. (28.3.)