Brothers (#) von Jim Sheridan. USA/England, 2009. Natalie Portman, Jake Gyllenhaal, Tobey Maguire, Tailor Geare, Bailee Madison, Sam Shepard, Mare Winningham
Fünf Jahre nach Susanne Biers eindrucksvollem Film „Brøder“ legt Jim Sheridan hiermit sein US-Remake vor. Ich bin ja nun grundsätzlich der Ansicht, dass die Welt US-Remakes nicht wirklich braucht, dennoch ist dies aber ein sehr sehenswerter und eindrucksvoller Film, weil einfach die Geschichte so stark ist und weil der Regisseur genau der richtige für den Job ist.
Und: Was schon seit Jahren deutlich wird, setzt sich hier fort, nämlich eine sehr emotionale und kontroverse Auseinandersetzung mit den diversen militärischen Abenteuern der Amis im Mittleren Osten, wobei sich unweigerlich auch mal patriotische Töne in die Debatte mischen, die kritischen Akzente aber klar überwiegen. Anders als etwa Vietnam, das letzte ganz große außenpolitische Fiasko, wird dieser Krieg zeitnahe, sofort rezipiert und in einigen sehr beachtlichen Filmen verarbeitet.
Das Drehbuch folgt weitgehend dem dänischen Original: Im kargen, ländlichen Nebraska leben die Brüder Sam und Tommy. Der eine ein amerikanischer Musterknabe mit schöner Frau, zwei wohl geratenen Töchtern und einer vielversprechenden Zukunft vor Augen. Der andere ein struppiger Loser mit Gefängniskarriere und sonst wenig Perspektive. Sam dient in der Army und geht nach Afghanistan, wo er abgeschossen und gefangen genommen wird und eine grausame Hölle durchlebt, der er nur lebend entkommen kann, indem er seinen Kameraden erschlägt. Derweil in der Heimat sein Bruder mehr und mehr seinen Platz bei Frau und Kindern einnimmt, und obwohl es zwischen Grace und Tommy noch nicht zu handfesten Intimitäten kommt, wäre dies wohl nur eine Frage der Zeit, zumal Grace eines Tages von Sams Tod erfährt, und die Hinterbliebenen sich fortan noch intensiver aneinander festhalten. Sam jedoch überlebt und kehrt nach Hause zurück, wo sich einiges verändert hat, wie er bald merkt, und wo für ihn kein rechter Platz mehr zu sein scheint, umso mehr, als er sich abweisend, ruppig und wortkarg gibt, und weder Grace noch die Kinder noch den Bruder an sich heranlässt und auch nicht davon sprechen kann, was ihn so furchtbar plagt. Die Eskalation ist absehbar und geschieht auch prompt, doch wie bei Susanne Bier gibt es auch hier am Schluss Hoffnung, dass Sam vielleicht doch die Kraft und das Vertrauen hat, von seinen Erlebnissen zu erzählen und damit wieder zurück zu Grace finden kann.
Man könnte nicht zu Unrecht einiges einwenden in Richtung zu simpler Konstellationen und Lösungen, zu schematisch angeordneter Personen und zu schlichter Skizzierung bei den Randfiguren. Manches davon mag zutreffen, in eingeschränktem Maße nur, wie ich finde, über allem steht aber für mich die Frage, ob der Film emotional und menschlich überzeugt, und das tut er auf jeden Fall. Bei aller Vorhersehbarkeit der Ereignisse (ein Remake leidet ja vor allem darunter, vor allem, wenn man das Original kennt) ist dieses Drama so intensiv, mitreißend und eindringlich gestaltet, dass ich alle Vorbehalte bald vergaß und genauso aufging im Geschehen wie vor fünf Jahren bei den Dänen. Sheridan ist eben deshalb der richtige Mann am richtigen Platz, weil er sich traut, in die Vollen zu gehen, ohne sein Niveau zu verlieren, weil er menschliche Extremsituationen zeigen kann, ohne in Kitsch und Pathos zu verfallen, weil er eine gewisse Wahrhaftigkeit beibehält, die den Film über den Verdacht erhebt, bloße Spekulation zu sein. Die Geschichte des schwerst traumatisierten Soldaten, der daheim auf eine Welt trifft, von der er sich in nur wenigen Monaten unendlich weit entfernt hat und in der er sich nun nicht mehr zurechtfinden mag, ist nach wie vor essentiell, weil es nach wie vor leider Kriege gibt und folglich nach wie vor zerrüttete, gedemütigte, gezeichnete junge Männer, die daheim wieder Fuß fassen müssen, weil das Leben eben weitergeht. Sam hat Dinge gesehen und getan, die sie nicht einfach mitteilen lassen, vor allem wüsste er nicht, wem er sie erzählen sollte. Er hat Angst, sich seiner Schuld zu stellen, Angst zu zerbrechen, Angst, vor sich und den anderen kein Verständnis und keine Entschuldigung zu finden. Diese Angst zusammen mit der Scham darüber, dass seine Familie heil geblieben ist auf Kosten einer anderen, die er zerstören musste, verwandelt sch in Selbsthass und Aggressivität, die zusätzlich von wachsendem Misstrauen und wachsender Eifersucht gespeist wird. Gegen diesen zerrissenen, komplexen Charakter haben es Tommy und Grace etwas schwer, zumal Tommy sich keineswegs als böser Bube erweist, sondern als ein liebevoller und fürsorglicher Onkel und Freund, und Grace ihre zwischenzeitliche emotionale Verwirrung nicht sonderlich ausführlich erleben darf, sondern es bei einem bekifften Kuss belassen muss. Dennoch sind am Ende alle Szenen, in denen der verstörte, ausgemergelte Sam in der alten Umgebung wie ein dunkler Fremdkörper, ein brodelnder Vulkan hockt und auf den Ausbruch wartet, von großartiger Dichte und Spannung, und hier kommen auch Tommy und Grace stärker zum Zuge, indem sie darum kämpfen, Sam wider heimzuholen zu sich, ihn herauszuholen aus der Paralyse.
Obgleich der Film in erster Linie ein privates Drama ist, steht natürlich die allgemeingültige Aussage ganz klar im Raum, und dies ist eine sehr eindeutige Aussage gegen den Krieg, und wie er die Menschen deformiert, entmenschlicht und zerstört. Die schlimmste, bitterste Erkenntnis tritt hier fast im Nebensatz zutage, in einer kleinen unscheinbaren Szene, in der Sams Vater, selbst ein Veteran, dem Sohn von seiner eigenen Erfahrung erzählt: Damals, als ich aus Vietnam zurückkam, konnte ich mit eurer Mutter auch nicht über das reden, was ich erlebt habe. Und ihr Jungs habt das meiste abgekriegt. Hinter diesen wenigen einfachen Sätzen, die auch noch ganz schlicht und ohne größere Emphase ausgesprochen werden, verbirgt sich nicht nur endlos viel Familienelend aus endlos vielen Jahrhunderten, sondern auch die fürchterliche Einsicht, dass wir aus der Geschichte nichts gelernt haben und auch nichts lernen werden, dass sich diese Dinge wieder und wieder ereignen werden, so als sei Krieg ein unabwendbares Naturgesetz. Ein kurzer Moment, der umso stärker nachwirkt, als er ganz ohne unnötigen Bombast in Szene gesetzt wird.
Sheridan hat menschliches Engagement, intensives Gefühl und seine eindrucksvolle inszenatorische Kraft in die Waagschale geworfen, und er hat drei Hauptdarsteller gefunden, die sein Konzept kongenial umsetzen konnten. Natalie Portman und Jake Gyllenhaal spielen brillant, und Maguire zeigt sicherlich die bisher stärkste Darstellung seiner Karriere, die ihn endlich mal wieder rausholt aus dem Umfeld des Popcornkinos, für das er eigentlich viel zu schade ist. Genau wie Susanne Bier hat Sheridan hier ein paar Leute zur Seite, die ihm entscheidend helfen, einige mögliche Untiefen zu umschiffen und den Film zu einem nachhaltigen und beeindruckenden Drama zu machen. (9.2.)