Contagion von Steven Soderbergh. USA, 2011. Matt Damon, Marion Cotillard, Laurence Fishburne, Jennifer Ehle, Jude Law, Kate Winslet, Elliott Gould, Gwyneth Paltrow, Armin Rohde

   Noch ne Apokalypse, diesmal in Gestalt eines epidemisch auftretenden Virus: Übertragen irgendwo in Hongkong oder China von Fledermäusen auf Schweine, dann in irgendeiner Großküche verarbeitet, von den Händen des Kochs übertragen auf eine US-amerikanische Geschäftsreisende, die tags drauf zurück fliegt nach Minneapolis, nicht ohne einen kurzen Stop-Over beim Lover in Chicago einzuschieben und damit ungewollt die Welle in Gang zu setzen. Einige Monate später hat die Epidemie Millionen auf der ganzen Welt dahingerafft, und selbst als es gelingt, eine Kultur anzuzüchten und einen Impfstoff zu entwickeln, hören die Probleme nicht auf.

   Das spannende an dem Film ist für mich nicht in erster Linie der sicherlich dramatische Wettlauf mit der Zeit auf der Suche nach dem Gegenmittel. Spannend ist zunächst mal die Vision von einer Welt, die extrem verwundbar und anfällig ist für jegliche Art von Epidemie. Im Laufe nur weniger Tage schwappt die Ansteckung über Hongkong und Nordamerika hinweg und wird von dort unaufhaltsam weiter verbreitet im Zeitalter des rastlosen Global Village, in dem Entfernungen in Nullkommanichts überwunden und also auch Viren in rasanter Geschwindigkeit übertragen werden können. Die hochgerüstete Wissenschaft arbeitet fieberhaft, und parallel dazu entwickelt sich der zweite spannende Handlungsstrang, nämlich die Vision vom Menschen in der Krise, bzw. was dann noch vom Menschlichen übrig bleibt. Bald schon kommt es zu Plünderungen und zügelloser Gewalt, die Verhältnisse geraten außer Kontrolle, Städte werden abgeriegelt, Lebensmittel knapp und schon tauchen die Verschwörungstheoretiker mit ihren Blogs auf, entwerfen das Bild der international vernetzten Konzerne, die hauptsächlich auf ihre Interessen und Pfründe schielen, selbst jetzt noch, wo es buchstäblich um Leben und Tod geht. Und so ganz abwegig ist diese Fantasie beileibe nicht, wenn man an die geballte Macht der großen Chemie- und Pharmakonzerne denkt. Hier taucht ein Spinner auf und behauptet, den Virus mit Forsythienessenz besiegt zu haben, was ihn sofort auf die Abschussliste der Wirtschaftsganoven setzt, denn die wollen zunächst mal richtig verdienen an der Katastrophe. Und als der Wirkstoff dann gefunden wurde, taucht sofort die Frage auf: Wer kriegt ihn zuerst, nach welchen Kriterien wird er verteilt, mit anderen Worten: Wer ist lebenswerter und wichtiger als andere? Diese ethische Grundfrage wird im Film explizit nur am Rande gestreift, doch spielt sie eine große Rolle, beispielsweise in der Geschichte der WHO-Expertin, die in Hongkong entführt und gefangen gehalten wird, um schließlich gegen Impfstoff ausgetauscht zu werden, weil man ganz genau weiß, dass die arme Landbevölkerung der Dritten Welt wahrscheinlich zuallerletzt dran sein wird, wenn überhaupt. Auch dies keine allzu weit hergeholte Befürchtung, wie ich finde.

 

   Obgleich starke, intensive Emotionen und reichlich Schauspielerprominenz im Spiel sind, wirkt der Film insgesamt erstaunlich und sehr angenehm zurückhaltend, fast kühl. Soderbergh zieht keine seiner Protagonisten nahe zu sich heran, schafft keine Identifikationsmodelle, leistet sich gar den Luxus, Stars wie Winslet oder Paltrow rasch sterben zu lassen. Dicht bevölkerte Ballungsräume werden knapp skizziert, die Allgegenwart der Medien ist jederzeit spürbar, das Abwägen von Einzelschicksalen gegen das allgemeine Interesse spielt eine ebenso große Rolle wie die Frage nach der moralischen Integrität der Wissenschaft, die natürlich nicht ohne die finanzielle Unterstützung aus Politik und Wirtschaft operieren und daher schon nicht unabhängig sein kann. Am Ende kommt die Menschheit zwar mit einem Schrecken und dreißig Millionen Opfern davon, entscheidend ist aber nicht dieser vorübergehende Erfolg, sondern die Schreckensvision, die dahinter steht: So etwas kann sich jederzeit an fast jedem beliebigen Ort wiederholen und die Menschen werden wohl nichts draus lernen, denn auch bei der nächsten Krise werden Solidarität und Hilfsbereitschaft sofort über den Haufen geworfen von blankem Egoismus und Überlebensdrang. Das vor allem nehme ich mit aus diesem Film, der eine höchst beunruhigende Bestandsaufnahme vornimmt, der in jeder Hinsicht sehr gekonnt gestaltet und klasse gespielt ist, und der es nicht nötig hat, mit Hilfe polemischer Effekthascherei ein Horrorszenario vor uns auszubreiten – wie gesagt, der wahre Horror stellt sich erst ein, wenn man anfängt, darüber nachzudenken. (26.10.)