Carnage (Der Gott des Gemetzels) von Roman Polanski. Frankreich/BRD/Polen/Spanien, 2011. Jodie Foster, Kate Winslet, Christoph Waltz, John C. Reilly

   Eigentlich wollten sich die beiden Elternpaare ja nur treffen, um über die gewalttätige Auseinandersetzung ihrer Söhne zu sprechen, besser gesagt, die Eltern des Täters wollten Abbitte leisten und die Eltern des Opfers wollten sicher gehen, dass dem Grobian gehörig die Leviten gelesen werden. Doch dann gibt ein Wort das andere, und ruckzuck verstricken sich die vier Herrschaften in einem höchst spannungsgeladenen Geflecht aus Frustration, Aggression und allerlei anderen lang unterdrückten Empfindungen, die sich nun im Laufe des Nachmittags ihre Bahn brechen und uns Zuschauern achtzig ebenso turbulente wie höchst vergnügliche Kinominuten bescheren. Das beste dabei ist fast noch der Abspann: Während sich die Alten völlig verstritten und entzweit haben, und zwar jeder mit jedem, feiern die Jungs längst wieder ihre Versöhnung, und auch der Hamster, den der Papa des Opfers angeblich so heimtückisch gemeuchelt haben soll, erfreut sich bester Gesundheit.

   So ist dies also eine schön fies überzogene Satire auf bürgerlichen Einfalt und Paranoia, die kongeniale Verfilmung eines erfolgreichen Theaterstücks (von der Autorin Yasmina Reza gottlob selbst für den Film bearbeitet), ein Fest boshaften Humors und genüsslicher Karikatur. Auf der einen Seite das schicke Paar – die Eltern des Opfers – sie eine Investmentberaterin in sorgsam gestyltem Outfit und zunähst vor allem um gütliche Einigung bemüht, er ein Anwalt der schlimmen Sorte, mürrisch, unhöflich, desinteressiert und zynisch-arrogant. Auf der andere Seite das etwas weniger schicke Paar – sie eine wenig erfolgreiche Autorin und engagierte Pseudoaktivisten für Afrika im allgemeinen und immer und vor allem  sehr betroffen, er ein etwas schlichter Handelsvertreter, der seine bodenständige Einfältigkeit zunächst noch gewinnend einsetzt, später dann weniger. Die Fassade bröckelt in dem Maße, da die vier sich in versteckte bis offene Anschuldigungen und Feindseligkeiten ergehen und die Bereitschaft zur Höflichkeit und Wahrung der Konventionen zunehmend schwindet (ein vollgekotzter kostbarer Kokoschka-Katalog leistet dabei entscheidenden Vorschub...). Die zwei Paare haben schon auf den ersten Blick kaum etwas gemeinsam, und schon bald ist der eigentliche Anlass ihrer durchaus unfreiwilligen Zusammenkunft vergessen, beziehungsweise wird zum Anlass für gegenseitige Verbalattacken oder auch peinliche Selbstdarstellungen benutzt. Dabei verschwimmen die Fronten immer wieder, nicht nur die Ehepaare gegen aufeinander los, sondern auch die Männer auf die Frauen und die Ehepaare intern. Allerlei hässliche und lang unter dem Deckel gehaltene Wahrheiten und Antipathien treten zutage, die jeweiligen Eheleute sind sich scheinbar nicht mehr gerade in inniger Liebe zugetan, sondern haben sich längst als „Eltern“ eingerichtet, die einen immerhin noch mit ideologischem Feigenblatt, die anderen ganz offen zweckmäßig und lieblos. Die wahren Neigungen liegen woanders - der eine Papa klebt unentwegt am Handy, wo er Anweisungen gibt, wie die neueste Schweinerei irgendeines Pharmakonzerns vertuscht werden kann, der andere telefoniert laufend mit seiner Mama, von der er sich wohl auch nicht lösen kann. Die Ehefrauen giften und zicken, die Männer fangen an zu saufen, und so hocken sie am Schluss deprimiert und jammernd auf den Trümmern ihrer Existenzen. Die Fassade der Zivilisation ist dünn, bröckelt allzu schnell: Aus der Gutmenschenfrau und Darfuraktivistin wird plötzlich eine hasserfüllte Furie mit nicht gerade zimperlicher Diktion. Der biedere Salesman mutiert zum hässlichen Bully und Mamasohn. Der scheinbar so überlegene und distanzierte Anwalt bricht völlig zusammen, als seine Handy („Mein ganzes Leben“) in einer Blumenvase abtaucht. Seine bis dato so verbindliche und konziliante Gattin wiederum entpuppt sich als ebenso dünnhäutige wie zutiefst frustrierte und aggressive Tussi. Man schaut zu mit einer Mischung aus Schadenfreude und Unbehagen – Unbehagen deshalb, weil natürlich jedem all diese Mechanismen in der einen oder anderen Form bekannt und geläufig sind. Und dann kommen der Hamster und die beiden Jungs, die ihren Streit längst vergessen und beigelegt haben, und entlarven das ganze vorangegangene Getöse als hohl und sinnlos.

 

   Polanski hat dies mit größtmöglicher Knappheit und Präzision buchstäblich auf den Punkt gebracht, treibt die Eskalation zügig, aber auch minutiös voran und erweist sich mal wieder als exzellenter Schauspielerregisseur, der seine prominente Besetzung zu bemerkenswerten Leistungen anzuspornen imstande ist und selbst ganz uneitel hinter sie zurücktritt. Alle sind erstklassig, aber Christoph Waltz als der grandios schnöselige und unhöfliche Anwalt ist eine Show für sich, die allein den Eintritt lohnt. Der lohnt sich aber  sowieso, denn dies ist ein hübsch böses Vergnügen mit brillant pointierten Dialogen, präzis getimten Gags und einer perfekten Dramaturgie, die eindrucksvoll zeigt, dass man keine zwei Stunden oder mehr für großes Theater benötigt. (24.11.)