Der Mann, der über Autos sprang von Nick Baker-Monteys. BRD, 2010. Robert Stadlober, Jessica Schwarz, Martin Feifel, Anna Schudt, Mark Waschke
Ein deutsches Roadmovie? – hört sich erst mal komisch an. Und dann auch noch mit Botschaft und tiefere Bedeutung? – au weia, das kann einfach nicht gut gehen. Oder? Doch, kann es, finde ich jedenfalls. Die Geschichte des Psychiatrieinsassen Julian, der sich über die Mauer der Anstalt schwingt und sich auf den Weg macht von Berlin nach Stuttgart, um die Energie, die er bei diesen wochenlangen Fußmarsch freisetzt, einem schwer kranken Mann zu übertragen, dem Vater jenes Jungen, dessen Unfalltod er einst verschuldete. Auf diesem Weg begleitet ihn zunächst die Krankenhausärztin Ju, die einfach mal eine Auszeit von Job und Freund braucht, und später dann die Ehefrau und Mutter Ruth, die auch erkannt hat, dass sich in ihrem Familienleben einiges (oder besser gleich alles) ändern muss. Zuletzt gesellt sich noch der Berliner Bulle Jan hinzu, der Julian zurück in die Anstalt bringen soll, der aber wenig Lust dazu hat, zudem mit den Vorgesetzten schon lang im Clinch liegt und sich lieber heftig an seiner unruhigen Privatfront abarbeitet.
Allesamt also mächtig beschwerte Leute, die sich da im herbstlich-idyllischen Mittel- und Süddeutschland auf die Wanderschaft machen, doch daraus ist gottseidank kein schwerer Film geworden, sondern eine zwar im Kern ernsthafte, in ihrer Ausführung aber durchaus launige und bisweilen auch humorvolle Psychostudie über einen, dessen Beispiel andere dazu bringt, lang gehegte Wünsche und Entschlüsse endlich umzusetzen – sich zu trauen, wie Ruth am Ende sagt. Bei Licht besehen kommt zwar nicht viel dabei herum – Ruth geht ebenso zurück in ihre alte Welt wie Ju, und auch Julians Mission ist nicht erfolgreich, weil der Vater seines toten Freundes just in dem Moment einen weiteren Herzinfarkt erleidet, doch vielleicht wird sich beim einen oder anderen zumindest auf Dauer etwas verändern. Auch Jan springt über seinen Dienstschatten und entlässt Julian in die Freiheit, spricht sich lieber mit seiner Freundin aus, der er offenbar übel mitgespielt hat in der Vergangenheit. Jan ist es auch, der der im Kern etwas schematischen Messias-Konstruktion ein bisschen auf die Sprünge hilft, indem er darauf hinweist, dass Julian nichts weiter als ein Scharlatan ist, der lediglich die Leute dazu inspiriert, zu tun, wozu sie eigentlich schon längst bereit waren. Das gefällt mir ganz gut, weil es den etwas feierlichen Impetus der Figur Julians angenehm relativiert, wie überhaupt der versoffene, miesepetrige und überaus erdverbundene Kerl einen notwendigen Gegenpol zu dem hellblonden, etwas ätherischen und ungreifbaren Knaben bildet, der bisweilen mit verklärter Miene voranschreitet, über leicht übernatürliche Fähigkeiten zu verfügen scheint und dann und wann einen bedeutsamen Satz absondert. Von diesen Sätzen gibt es einige, die besser entfallen wären, im ganzen aber ist der Ton absolut unpathetisch und weitgehend frei von tiefgründigen Erkenntnissen und Botschaften. Die Schauspieler sind exzellent und sehr gut gewählt und vor allem die brillant leuchtenden Bilder stechen heraus, und das finde ich völlig in Ordnung, denn ein Roadmovie soll meiner Meinung nach auch was fürs Auge sein, und genau so ist es hier. Die Idee eines heilenden oder kräftegebenden Fußmarsches ist irgendwie reizvoll, (außer wenn Werner Herzog daraus eine weihevolle Selbstbespiegelung macht...) und sie wird hier auch sehr reizvoll bebildert. Ein paar Unwegsamkeiten und Überraschungen sind auch dabei, um so besser, denn so ist gleichzeitig für Unterhaltung gesorgt. In jedem Fall ein ungewöhnlicher und origineller Film aus deutschen Landen, in vieler Hinsicht sehr sehenswert. (21.6.)