Le nom des gens (Der Name der Leute) von Michel Leclerc. Frankreich, 2010. Sara Forestier, Jacques Gamblin, Zinedine Soualem, Carole Franck, Michèle Moretti, Jacques Boudet
Ein richtig tolles Vergnügen, dass auf schönste Weise den Geist der 70er atmet: Frech, frivol, politisch und moralisch betont inkorrekt, satirisch, erotisch, ein wenig provozierend, auch wenn so was in unseren coolen, toten Zeiten recht schwierig geworden ist, und zu alledem sogar auch reichlich subversiv (böses böses Wort!). Eine Komödie in weiterem Sinne über Sex, Politik, ethnische Schubladen, Vorurteile und Verdrängung. Im engeren Sinne ist dies aber auch eine Komödie der Gegensätze, die sich bekanntlich anziehen, so auch im Falle Bahias und Arthurs, beide aus bunt bewegter Familientradition, die sich jedoch im Alltag denkbar unterschiedlich ausleben. Arthur stammt aus einer Familie mit jüdischem Anteil mütterlicherseits und entsprechender Holocaust-Vergangenheit (die Großeltern starben in Auschwitz), über die aber nicht gesprochen werden darf. Bahia stammt aus einer Familie mit algerischem Anteil väterlicherseits und Missbrauchvergangenheit (der Klavierlehrer, der sie als kleines Mädchen unterrichten sollte), über die aber nicht gesprochen werden darf. Beide verarbeiten diese dominierenden Tabus auf unterschiedliche Weise: Er wird Spezialist für Vogelkrankheiten, ein introvertierter Erbsenzähler und Kontrollfreak ohne nennenswertes Privatleben oder sonstige Eigenschaften. Sie wird unter dem Einfluss ihrer Hippiemutter zur leidenschaftlichen politischen Aktivistin, und geht sogar noch deutlich weiter, denn ausgehend von der schicksalhaften Alternative, entweder Nonne oder Hure werden zu müssen, entscheidet sie sich für den irdischen Weg und beschließt, die Welt zu verbessern, in dem sie mit rechten Arschgeigen ins Bett geht und vermittels tollem Sex aus ihnen Gutmenschen zu machen. Bis sie an Arthur gerät, einen bekennenden Jospinisten, der eigentlich also nicht ins Beuteschema passt, der ihr aber dennoch irgendwie gefällt...
Schon der Auftakt, in dem Arthur und Bahia abwechselnd aus ihrer Biographie plaudern und dazu ausgewählte Spielszenen präsentieren, ist grandios, spielerisch und witzig, so wie der Film im ganzen, wobei einem der Witz an manchen Stellen auch mal im Hals stecken bleibt, und das ist eine Taktik dieses Films, der durchaus auch mal mit unbeschwertem Klamauk aufwartet, der uns aber nie völlig in Sicherheit wiegt, sondern gelegentlich auch mal einen jähen Blick in den Abgrund gewährt. Anlass dazu gibt’s natürlich genug, die Themen liegen sozusagen auf der Straße der jüngeren Geschichte, die hier kühn im Handstreich durchmessen wird und die ihre Ableger deutlich erkennbar in der Gegenwart hinterlassen hat, einer Gegenwart, die noch immer Unterschiede macht bei Hautfarben, ethnischen Wurzeln, Namen, Religionen, politischen Überzeugungen und so weiter. Bahia rennt ununterbrochen gegen diese ideologischen Mauern an, amüsanterweise hat sie selbst in ihrem eigenen Weltbild aber auch eine solche Mauer errichtet, trennt sauber zwischen Gut und Böse, rechts und links, so wie schon die Frau Mama ihrer Generation gemäß, und auch Arthurs Ermahnungen, dass rechts wählende Leute durchaus schon viel Gutes getan haben, bringen sie nicht von ihrem Wege ab. Sie ist eine wunderbare, von Sara Forestier auch wunderbar gespielte Hauptfigur, wie man sie schon lang nicht mehr im Kino gesehen hat, frisch und neu, forsch und verletzlich, total verpeilt und schusselig, dann wieder gnadenlos zielstrebig, sexy und selbstbewusst und von einer scheinbaren Naivität, die sich bei näherer Betrachtung (so wie auch Arthur sie nach und nach anstellt) als ebenso genial wie radikal erweist, wenn man den Mumm hat, sich drauf einzulassen. Michel Leclerc sympathisiert als Co-Autor und Regisseur zwar voll und ganz mit ihr, nimmt sie aber liebevoll und zärtlich immer wieder auf die Schippe, so wie überhaupt alles und jedes hier auf die Schippe nimmt. Uns Zuschauer übrigens auch, und so piesackt und foppt er uns ständig, verblüfft und überrumpelt uns, erwischt uns bei unseren Vorurteilen und Schubladen, kitzelt unseren Voyeurismus, testet unsere moralische Flexibilität und macht vor allem riesig viel Spaß. Zwischen Tragikomödie, Erotikfarce und Gesellschaftssatire jongliert er virtuos mit all den Themen und Ideen, die Bahia so durch den Kopf schwirren, und das sind eine ganze Menge. Sie und Arthur ergänzen sich in vieler Hinsicht – sie bringt den braven und etwas stockigen Knaben endlich mal auf Trab, er bietet ihr auf lange Sicht endlich so etwas wie ein Ziel, ein Zuhause, nach dem sie sich bei aller Aktionswut immer schon gesehnt hat. Beide lernen voneinander, über ihren Tellerrand zu schauen, sie macht’s mit missionarischem Feuereifer, er eher mit Beharrlichkeit, und aus dieser kontroversen Mischung beziehen die gemeinsamen Szenen einen zauberhaften Charme. Zauberhaft und charmant ist der ganze Film, über den ich mich durchgehend so gut amüsiert habe wie lang nicht mehr im Kino. Und wie famos ist Bahias Grundidee, die sich Kurt Tucholskys berühmten Satz zu eigen zu machen und noch ein wenig auf die Spitze zu treiben scheint: Nicht mehr „küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft“ heißt es nun, sondern zeitgemäßer „fickt die Faschisten, wo ihr sie trefft“. Na denn frisch ans Werk... (21.4.)