Goethe! Von Philipp Stölzl. BRD, 2010. Alexander Fehling, Miriam Stein, Moritz Bleibtreu, Volker Bruch, Burghart Klaußner, Henry Hübchen, Hans-Michael Rehberg

   Wer so neugierig ist, unbedingt erfahren zu wollen, unter welchen Umständen der berühmt-berüchtigte Schülerquäler „Die Leiden des jungen Werthers“ zustande kam, kann sich hier eine höchst amüsante und frohgemute Erbauungsstunde abholen, die allerdings keinerlei Anspruch auf historische Faktentreue legt, sondern vielmehr im Dienste guter Unterhaltung das wahre Leben Goethes mit der von ihm verfassten Fiktion vermengt. Daran mögen sich nun die Erbsenzähler stoßen und solche, denen Goethe so heilig ist, dass sie jegliche Freiheiten mit seiner Biographie für ein Sakrileg halten. Mir persönlich ist Goethe irgendwie wurscht, weshalb ich entspannt zuschauen und mich prächtig amüsieren konnte und ein farbiges, temperamentvolles und üppiges Stück Ausstattungskino, das sich seinem Protagonisten mit Sympathie, Geist und Witz nähert.

   Es begibt sich anno 1772, dass der schludrige und recht hochnäsige Jungstudent Johann Goethe beim Juraexamen durchfällt und ihn der zornige Vater daraufhin zur Strafe nach Wetzlar verbannt, wo er an der dortigen Gerichtsbehörde ein fruchtloses und trockenes Dasein als Assessor zu fristen, sprich sich mit staubigen Altakten herumzuschlagen hat. Sein Glück wendet sich schlagartig, als er den zauberhaften Wildfang Lotte kennen lernt und die beiden nach einigen Umwegen auch zueinander finden. Nicht allzu lang leider, denn Lotte Vater hat die älteste Tochter auch finanziellen Nöten bereits Johans biederem Vorgesetztem Kestner versprochen, was sogleich allerlei Gemütsaufwallung nach sich zieht. Johan lässt sich zu einem unerlaubten Duell hinreißen, landet im Knast, liebäugelt mit dem Freitod wie sein Freund Jerusalem, besinnt sich aber eines Besseren, lässt sich Feder, Tinte und Papier in die Zelle reichen und schreibt sich all sein Herzeleid von der gepeinigten Seele, sehr zum Kummer all der vielen unschuldigen Schüler nach ihm, die nun wirklich nichts dafür können, dass er seine Lotten nicht freien durfte.

 

   Das ist Sturm und Drang in Reinkultur, liebevoll und mit hübschen ironischen Schlenkern, ein wenig Romantik, ein wenig Erotik, ein wenig spitzzüngiger Frechheit, alles darauf abgezielt, uns den jungen Goethe als unangepassten Freigeist zu präsentieren, als draufgängerischen und aus vollem Herzen liebenden und lebenden Dichter, der wie die Angebtete die Emilia Galotti des Kollegen Lessing schätzt (Schülerquäler unter sich also...), der gegen Spießerei und Bigotterie aufbegehrt und auf Disziplin und eifrige Strebsamkeit pfeift. Mit der Lotte allerdings ist es ihm dann schon ernst, und zwar bedingungslos und ganz und gar, weshalb er die Niederlage gegen den braven Kestner kaum ertragen kann. Der ganze Überschwang der verletzten Gefühle fließt ein in sein Prosawerk, für das er daheim in Frankfurt dann gefeiert wird wie ein regelrechter Popstar, eine Assoziation, auf die ich hätte verzichten können, für meinen Geschmack aber auch der einzig unpassende Anachronismus in dem Film. Der sich ansonsten mit den befürchteten Plattheiten sehr wohltuend zurückhält und lieber auf solide, fulminant vorgetragene Unterhaltung setzt und dabei auch nicht so tut, als gehe es nun um eine literaturwissenschaftlich haltbare Nacherzählung aus dem Leben des junge n Goethe oder so. Vitalität, Spaß und viel Gefühl stehen im Vordergrund, die künstlich am Computer gepixelten alten Städtchen machen sich ganz gut, die blühenden bukolischen Landschaften ebenso, vor allem aber die Schauspieler, die allesamt in fabelhafter Laune sind, allen voran das tolle Paar Alexander Fehling und Miriam Stein, die den Spagat zwischen Moderne und Romantik perfekt hinbekommen und so einige Funken sprühen lassen. Drumherum ist immer was los, überall schöne Bilder und belebte Szenerie, Regie und Drehbuch schreiten zügig, doch nicht hastig voran, und alles in allem ist dies ein ziemlich gute Möglichkeit, zwei Stunden an einem typisch tristen Januarsonntag totzuschlagen und einfach mal in ferne Zeiten einzutauchen, wo man noch gänzlich andere Probleme hatte als heutzutage. Damals generierten diese Probleme Weltliteratur, heute kommen nur noch amoklaufende Massenmörder dabei raus, und manchmal sehnt man sich fast schon in eine andere, heile Welt – bis man wieder anfängt nachzudenken und zu der Einsicht kommt, dass diese heile Welt leider nie existiert hat. Aber was red ich da bloß – ist doch nur ein Film... (16.1.)