Tamara Drewe (Immer Drama um Tamara) von Stephen Frears. England, 2010. Gemma Arterton, Roger Allan, Bill Camp, Jessica Barden, Charlotte Christie, Dominic Cooper, Luke Evans, Tamsin Greig
Stephen Frears überrascht mich doch immer wieder – nach seinen letzten, eigentlich durchweg ziemlich “disziplinierten” Filme, wenn dies böse Wort in diesem Zusammenhang gestattet ist, kommt er jetzt mit einem völlig wilden und wunderbar unbeschwerten Film um die Ecke, einem Film, der so gar nichts anderes sein will, als er ist, der auf beachtlich souveräne Art und Weise in sich selbst ruht. Eine Mixtur aus ländlicher Gesellschaftsburleske, fröhlicher Erotikfarce, lustvoller Satire auf den vermufften britischen Literaturbetrieb und närrischem Teeniedrama, auf der einen Seite im Prinzip einigermaßen vorhersehbar, auf der anderen Seite voller schräger Ecken und Kanten immer wieder mit neuen Drehungen und Wendungen aufwartet und schon deshalb höchst amüsant und unterhaltsam ist.
Die vermeintliche Heldin ist jene Tamara Drewe, die nach einiger Zeit im nahen, glamourösen London zurückkehrt in ihre Heimat im allerländlichsten Dorset, die einst monströse Nase schick chirurgisch gerichtet, und auch sonst extrem ansehnlich, weshalb die ortsansässige Herrenwelt einigermaßen in Aufruhr gerät. Dafür sorgen aber auch noch einige andere Faktoren, zum Beispiel der ewig auf Seitensprüngen befindliche gockelhaft eitle Starautor Nicholas, oder die beiden fünfzehnjährigen Freundinnen Jodi und Casey, deren wüste Fantasien und Sehnsüchte alsbald vor nichts mehr halt machen und eine wahrhafte Lawine beängstigend unkontrollierbarer Ereignisse nach sich ziehen.
Die vielen Anspielungen auf Thomas Hardy und besonders sein „Far from the madding crowd“ legen gewisse Ähnlichkeiten oder parodistische Nachempfindungen nahe, ebenso die unentwegten Betrachtungen männlicher und weiblicher Moral, die ihren überspitzten Fokus in der Ehe von Nicholas, dem hohlen, selbstgefälligen Gecken, und der lange Zeit übermäßig duldsamen und leidensfähigen Beth haben. Die forsche, frivole Tamara platzt in das ohnehin zerbrechliche Gebilde aus intellektuellem Dünkel und ländlicher Bigotterie wie eine echte Bombe, zumal ihre eigene Verwirrung mindestens genauso groß ist wie die aller anderen, inklusive der hemmungslos pubertierenden Mädchen, die kein Medium ungenutzt lassen, um maximal Unheil und Chaos zu stiften. Die zum Teil recht modernen Irrungen und Wirrungen werden genüsslich kontrastiert mit wunderschön bukolischen Tableaus der hügeligen Landschaft im Wechsel der Jahreszeiten (auch dies eine Hommage an Hardys grünen Rand der Welt) und der trügerisch beschaulichen und scheinbar harmlosen Idylle des kleinen Dorfes namens Ewedown. Frears versteht sich vorzüglich darauf, eine Zeitlang scheinbar ziellos und ohne rechten Drive herumzustreifen, um dann plötzlich eine scharfe Pointe zu platzieren oder eine Situation ins Groteske zu überziehen, nur um dann unvermittelt wieder abzuschweifen und die nächste Eskalation anzubahnen. Dieses launige Wechselspiel der Gefühle und Stimmungen und auch des Humors ist besonders gelungen und wirklich sehr witzig, zumal Frears sich auch nicht scheut, gelegentlich mal derb auf die Kacke zu hauen. Der durchweg heitere, flotte Erzählton sollte auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass dann doch mal der eine oder andere Tiefschlag angesetzt wird, und ich finde durchaus nicht, dass dies lediglich eine seichte Komödie ohne jede Substanz ist. In jedem Fall aber ist dies ein brillant pointiert geschriebener und inszenierter Film, dargeboten von einem prächtig aufgelegten Ensemble und getaucht in ebenso prachtvolle Breitwandbilder, die allein das Zuschauen zu einem Genuss machen. Wenn Frears weiter so gute Arbeit abliefert, dann kann er meinethalben auch weiterhin so sprunghaft bleiben – bei ihm weiß man ja wirklich nie, was wohl als nächstes drankommen könnte. (3.1.)