Hævnen (In einer besseren Welt) von Susanne Bier. Dänemark/Schweden, 2010. Mikael Persbrandt, Tryne Dyrholm, Ulrich Thomsen, Markus Rygaard, William Jøhnk Nielsen
Über die ollen Dänen habe ich ein paar Seiten weiter oben eigentlich für dieses Jahr genug gesagt und hätte an dieser Stelle auch nichts wesentliches hinzuzufügen. Susanne Biers Film ist der neueste in einer Reihe großartiger Filme, die sie seit „Open Hearts“ von 2002 gedreht hat und die hoffentlich so bald nicht zu Ende geht. Ob nun in dänischem Setting, oder etwas internationaler wie in „Things we lost in the fire“, immer geht’s um essentielle und existentielle menschliche Fragen und Themen, die sie auch hier mit bewundernswerter Intensität, Sensibilität und Großzügigkeit behandelt.
Obwohl drei erwachsene Personen an erster Stelle genannt werden, stehen eigentlich zwei zwölfjährige Jungs im Zentrum der Geschichte: Elias ist das bevorzugte Mobbingopfer in seiner Schulklasse – täglich kommt er mit kaputtem Fahrrad heim, fast täglich kassiert Prügel und wird anderweitig gedemütigt. Seine Eltern leben getrennt, beide sind Ärzte, die Mutter in Dänemark, Vater Anton ist zumeist in Afrika tätig, wo er vom grausamen Arbeitsalltag genug beansprucht wird. Er predigt absoluten Pazifismus und ermahnt Elias, nie zurückzuschlagen, um den Kreislauf der Gewalt nicht weiter anzuheizen. Indem er sich von einem rohen, hitzigen Kerl mehrmals schlagen lässt ohne sich zu wehren, gibt er den Jungs ein Beispiel, das die allerdings mehr verstört als belehrt. Der zweite Junge, Christian kommt neu in die Klasse von Elias. Er hat jüngst seine Mutter durch Krebs verloren, zieht mit dem Vater nach einer längeren Zeit überall im Ausland zur Großmutter, und stellt in der Schule schnell klar, dass er kein Opfer sein wird. Elias und er freunden sich sofort an, zwei Außenseiter, auch wenn sie in ihrer Haltung sehr verschieden sind. Christian zeigt Elias einen Lieblingsplatz hoch oben auf dem Getreidesilo am Hafen und er hantiert mit Schwarzpulver, will Bomben bauen, um es allen Idioten gründlich zu zeigen. Zum Beispiel dem brutalen Kerl, der Anton beschimpft und geschlagen hat. Elias ist tief verunsichert, hin- und hergerissen zwischen der Ermahnung des Vaters und der Verlockung des Freundes, schließt sich dann aber doch Christian an, was ihn um ein Haar das Leben kostet.
Zwei Familien im Fokus, Tod oder Trennung, dauernde Verständigungsprobleme, Überforderung. Christians Vater versucht verzweifelt, Kontakt zu seinem abweisenden, wütenden Sohn herzustellen, der ihn für den Tod der Mutter verantwortlich macht, ihm zumindest vorhält, ihren Tod gewollt zu haben. Christian lebt seine Gefühle offensiv aus, er sucht nach einem Ventil, das er beinahe findet, als er den Vater eines Tages doch konfrontiert und anschreit, doch erst das katastrophal misslungene Bombenattentat auf das Auto des Schlägers bringt ihn zur Besinnung. Elias hat gelernt, auch die andere Wange hinzuhalten, eine Haltung, die keiner der Jungs begreift und die ihn nur noch angreifbarer macht, weswegen Antons Lektion auch nicht fruchtet, als er Elias klarzumachen versucht, dass die Schläger am Schluss immer die Verlierer sind. Antons Idealismus geht weit am Schulalltag vorbei, denn da sind die Schläger die Gewinner und die Geschlagenen die Verlierer, so einfach ist das, und Anton entpuppt sich hier bei allen guten Absichten als weltfremd. Er selbst erlebt dann auch, wie sein Vorsatz zusammenbricht, als er in Afrika mit einem äußerst monströsen Mann konfrontiert wird, dem er als Arzt zunächst hilft, ungeachtet seiner furchtbaren Bluttaten, den er dann aber doch dem wütenden Mob ausliefert, weil die Provokationen des Monsters zu viel für ihn wurden. In dem Film scheint die Vater-Sohn-Beziehung die entscheidende zu sein, die Beteiligten arbeiten sich unentwegt daran ab, um an Ende eröffnet sich doch so etwas wie eine optimistische Perspektive.
Wie diese Geschichte geschrieben, inszeniert und gespielt wurde, ist alles in allem ganz großes Kino, ganz große Kunst. Wieder einmal kommen ganz tiefgehende Themen und Konflikte zusammen, und wieder einmal gelingt es Bier (wie auch ihren anderen KollegInnen aus dem Norden), weder in Pathos noch in totale Übersättigung zu verfallen, und bei aller unbedingter Ernsthaftigkeit wirkt die abschließende Hoffnungsgeste nicht aufgesetzt, sondern als notwendiges Signal, das vielleicht nicht gleich auf eine bessere Welt abhebt, aber dennoch die Möglichkeit einschließt, dass man in der vorhandenen und alles andere als guten Welt vielleicht doch mit etwas mehr Verständnis und Offenheit aufeinander zugehen kann und damit auch möglich wird, Verletzungen, Missverständnisse und Trennungen zu überwinden. In einem Film wie diesem halte ich solche Auflösungen fast schon für nötig, denn sonst wäre das Ganze kaum zu ertragen, und obgleich Bier beileibe keine missionarischen Absichten hegt, scheint ihr doch daran zu lege, diese Wege in die Zukunft offen zu lassen. Allerdings legt sie es stets in die Hände ihrer Protagonisten, ob sie bereit sind, diesen Weg auch zu gehen, denn es ist ein schwerer Weg, weil jeder mehr oder weniger von sich preis- oder aufgeben muss.
Dies ist ein Meisterwerk in brillanten Bildern – gerade die aus Dänemark machen unbändige Lust, mal wieder an die Ostesee zu fahren – und auch sonst mit den oben erwähnten Qualitäten. Für mich essentielles, unverzichtbares Kino. (5.4.)