Joschka und Herr Fischer von Pepe Danquart. BRD, 2011

   Wenn ich dieses Filmchen einen Tag später Revue passieren lasse, muss ich glatt an einen alten Song von Meister Degenhardt denken: „Dass das bloß solche Geschichten bleiben, die man den Enkeln erzählen kann...“ Vom Joschka und dem Herrn Fischer lassen sich natürlich jede Menge Geschichten erzählen, immerhin ist der Mann mittlerweile über die 60, und sein Leben und Wirken umspannt die gesamte relevante Zeit der deutschen Nachkriegsgeschichte, inklusive Kindheit im Nachkriegsmilieu konservativer Vertriebener, Studi- und Spontizeit in Frankfurt, Demos und 68er, Vietnam und später Anti-AKW und Startbahn West. Dann die Distanzierung vom Extremismus, von der Gewalt der RAF und ihren blutigen Aktionen, der Schritt in die Parteipolitik, die Gründung der Grünen, der Weg in den Bundestag, dann die Regierung, dann das Ministeramt, dann die Krise um die Kriegseinsätze, dann der Rückzug. Dazwischen gibt’s dann noch Exkurse mit Leuten wie Hans Koschnik, der Katharina Thalbach, dem Dany Cohn-Bendit, den Fehlfarben und anderen Ex-Revoluzzern, die sich zu Themen wie Nachkriegsdeutschland, der DDR, dem Mauerfall, dem Mai 68 und der Zeit danach, den 70ern und 80ern, der Frankfurter Szene und so weiter äußern.

   Stoff satt also für anregende hundertvierzig Minuten, und ich kann auch nicht behaupten, das ich mich dabei gelangweilt habe, denn obwohl die Hauptsache des Films aus wenig Neuem besteht, ist die Geschichte halt immer wieder faszinierend und spannend. Danquart montiert die hinlänglich bekannten Motive brav und ohne allzu viel Inspiration, auch die beigemixte Musik weicht nicht vom klassischen Kanon ab. Was den Film interessant macht, sind die Betrachtungen zu Fischers Kindheit und Jugend in der schwäbischen Provinz, die ein wenig an vergleichbare Momente aus dem Ensslin-Vesper-Film von Andres Veiel erinnern und einen weiteren aufschlussreichen Einblick in die Wurzeln der 68er-Generation liefern. Fischers Einlassungen dazu sind übrigens auch deutlich interessanter als die meisten seiner späteren, allzu glatten Vorträge. Der Weg vom Elternhaus in der katholischen Enge in die Städte, in die Jugendbewegungen, die Auseinandersetzungen, die Politik, durch all diese irren Entwicklungen und Veränderungen, das ist schon beeindruckend, und so habe ich mich über zwei Stunden lang zugegeben nicht schlecht unterhalten.

 

   Was Danquart aber ganz und gar misslingt, ist seine Annäherung, seine Darstellung der Person Fischers, und indem ihm dies misslingt, geht zugleich der ganze Film schief. Er stellt Fischer in einen großen Raum, umgibt ihn mit Leinwänden voller bewegter Bilder aus verschiedenen Phasen seiner Biographie und lässt ihn dann dazu erzählen. Durchaus originell soweit. Fischer jedoch übt sich in der Pose des Elder Statesman, graumeliert, saturiert, distanziert, unantastbar irgendwie, oft auch unscharf – und im ganzen ein wenig langweilig. Aus der Ferne der Jahre kommentiert er das Geschehen, sehr abgewogen, sehr cool und milde, es fehlt jede offenkundige emotionale Beteiligung, jeder Biss, jeder Witz. Fischer als Mensch bleibt außen vor, bleibt unkenntlich, übermäßige Selbstreflexion (um nicht von Selbstkritik zu reden) kommt nicht vor und wird von dem Regisseur leider auch nicht verlangt, wie auch sonst scheinbar nichts. Joschka hält uns mit der Routine des erfahrenen Öffentlichkeitsmenschen auf Distanz, teilt uns genau das mit, was er für ausreichend und richtig hält, kein Stück mehr, und das klappt bestens, weil er vom Interviewer zu keiner Zeit gefordert wird. Danquart spielt hier überhaupt keine Rolle, hält sich total raus, lässt dem Joschka respektvoll den Vortritt und lässt ihn, so scheint’s jedenfalls, nach Belieben gewähren. Nicht der Hauch einer Provokation oder auch nur einer kritischen Nachfrage ist zu spüren, niemals gerät das leicht selbstgefällige Bild des Politikers ins Wanken, kommt die seichte Harmonie in Unordnung, und das reicht für einen wirklich spannenden Dokumentarfilm auf keinen Fall. Ich glaube fast, dass selbst glühende Anhänger der Grünen ihr altes Idol hier nicht so recht feiern können, weil der Knabe einfach zu blass bleibt, ohne Ecken und Kanten, ohne Widersprüche, aber auch ohne Charme und Charakter. Tja, Ziel verfehlt, muss man da wohl sagen, und das ist bei einem solch interessanten Thema schon eine kleine Schande... (23.5.)