Margin Call (#) von J.C. Chandor. USA, 2011. Kevin Spacey, Zachary Quinto, Jeremy Irons, Paul Bettany, Penn Badgley, Stanley Tucci, Demi Moore, Simon Baker
Ein Kammerspieldrama aus der Parallelwelt: Ein Tag im Leben einer Handvoll hochrangiger Finanzjongleure an der Wall Street, die feststellen müssen, dass ihre bislang lukrativsten Deals auf heißer Luft basieren und die Blase jeden Moment platzen kann. In einer einzigen Nacht wird nun um die Entscheidung gerungen, was zu tun ist, und es setzen sich letztlich die Pragmatiker durch, die da sagen, verkaufen zum jeden Preis, egal, was den Käufern zustößt, egal, was dem Markt im ganzen zustößt, danach dann gesund schrumpfen und weiter geht’s.
Am Anfang und am Schluss sieht man noch jene Leute bei der Arbeit, die man auch schon in „Up in the air“ bewundern durfte - professionelle Dienstleister, die Mitarbeiter sachlich über ihre bevorstehende Entlassung und deren Bedingungen informieren, um eine möglichst reibungs- und lautlose Abwicklung zu ermöglichen. Nichts und niemand ist vor ihnen sicher, und wie den „Überlebenden“ sofort danach versichert wir, ist dies allein der Grund, dass die Firma seit über hundert Jahren immer wieder stark und gesund geblieben ist. Darwinismus pur natürlich, nur die allerbesten bleiben, aber wer dann nicht seine Chance sofort nutzt, steht als nächster auf der Abschussliste. Der Mann aber, der eben diese Rede hält, Kevin Spacey alias Sam, ist später derjenige, der so etwas wie das personifizierte gute Gewissen der Branche ist, als er seinem Boss die geplante Totaloperation ausreden will, weil dies zynisch und mies wäre und eine gigantische Krise auslösen könnte. Sam wird geradezu die Identifikationsfigur für uns, denn inmitten all dieses eiskalten Wahnsinns benötigen wir eigentlich irgendeinen Halt, der uns Hoffnung für die Menschheit geben könnte, denn sonst müssten wir annehmen, dass die Welt beherrscht wird von größenwahnsinnigen Geldjongleuren, die lange schon jeglichen Kontakt zur Umwelt verloren haben, die wirklich in einem Paralleluniversum zugange sind, nur noch in Kategorien von Loss and Gain denken und denen natürlich jegliche menschliche Regung ganz fremd geworden ist. Tja – aber ist es nicht genau so...? Diese plötzliche Mutation Sams zum Gutmenschen, der am Schluss ganz verzweifelt seinen toten Hund im Garten seiner geschiedenen Ex verbuddelt, ist für mich der einzige Schwachpunkt eines Films, der mich frösteln macht, der durchaus auch etwas Angst macht vor der Machtfülle dieser Anzugträger, und der Hochspannung erzeugt durch maximale Reduktion. Wenige Handlungsorte – eigentlich nur ein paar Büros in dem riesigen Geschäftsturm -, wenige Hauptpersonen und eine einzige Situation, eine Krise, die in einer fieberhaft einberufenen Sondersitzung mitten in der Nacht bewältigt werden muss. Dass ich den genauen Hintergrund der Krise nicht so recht verstanden habe, fand ich dabei nebensächlich, denn es geht eher um die Betrachtung der beteiligten Personen – von welchen Überzeugungen werden sie geleitet, welche Überzeugung wird sich am Ende durchsetzen, und daran gekoppelt, wie wirkt sich das Hierarchiegefüge am Schluss aus. Denn Hierarchie ist tatsächlich alles in dieser strikt vertikal strukturierten Szene: Kein mieses Arschloch, das nicht noch ein viel mieseres und härteres Arschloch über sich hätte. Sam lässt seinen Untergebenen gegenüber den coolen Macker raushängen, bis dann Cohen auftritt, Sams Boss, und plötzlich wirkt Sam gleich eine Nummer kleiner. Cohen lässt wiederum den großen Macker raushängen, bis dann Tuld auftritt, der Oberboss von allem, vor dem letztlich alle kuschen, weil er der härteste, gierigste von allen ist. Ein Rädchen im Getriebe zu sein, ist einerseits gut, weil man sich nicht schlecht fühlen muss wegen Entscheidungen, für die man letztlich keine Verantwortung trägt, es ist aber auch schlecht, weil man jederzeit ersetzbar ist, und weil von unten unablässig die jungen, ehrgeizigen, karrieregeilen Jungs nachrücken, wie Peter und Seth, die auf ihrem Weg absolut über Leichen gehen würden und die im täglichen Kampf um Punkte noch viel fitter und motivierter sind als die alten Hasen, die langsam müde werden. Dass es einer wie Sam über dreißig Jahre in diesem Business ausgehalten hat, erschien mir auch als wenig glaubwürdig, denn diese Mühle erträgt doch niemand länger als zehn Jahre.
Wichtig für das ruhige Gewissen dieser Anzugträger ist ihre Strategie, sich rein auf zahlen und Bilanzen zu konzentrieren, und alle menschlichen Erwägungen, die daran immer geknüpft sind, auszublenden. Tuld gibt den Taktschlag vor, Gewinne müssen gemacht werden, egal wie, und wenn wir die dreckigen Deals nicht einfädeln, dann tut’s halt der nächst und wir werden untergehen. Eine erschreckend losgelöste, hermetische, vollkommen technisierte Welt, wie Tuld selbst einmal sagt, eine fiktive Welt geradezu, denn die Milliarden, mit denen dort spekuliert und jongliert wird, sind imaginär, faktisch gar nicht vorhanden, sondern existieren nur als Tabellenreihe auf den pausenlos laufenden PC-Monitoren. Diese fiktiven Geschäfte können aber, und das hat sich in der jüngeren Geschichte mehrfach schon gezeigt, zu furchtbaren weltweiten Krisen führen, und genau das macht Stories wie diese hier so dringend und real. Diese Leute wissen das eigentlich auch, aber sie scheinen ihre Macht eher noch zu genießen, als verantwortlich damit umzugehen, und im Ernstfall ist ihnen das Hemd natürlich näher als die Jacke. Man versteht als einfacher Idiot wie ich nun auch den Sinn dieser mehrere hundert Meter hohen Bürotürme besser – weit oben in der Luft, jeder Bodenhaftung enthoben, lassen sich solche Geschäfte halt besser machen, weil jeder einzelne Mensch, den das vielleicht treffen könnte, nur eine kleine Ameise ganz tief unten ist und absolut nichts zählt im Vergleich zu den Kursen und Börsenbewegungen. Wenn man wie Tuld ganz oben sitzt und von dort über die Stadt blickt, dann spürt man nur Macht und sonst nichts und hat offenbar kein Problem damit, auch mal Entscheidungen von zunächst unkalkulierbarer Reichweite zu fällen, um die eigene Haut zu retten.
Ein Film fast schon wie ein Theaterstück, ganz einfach und ohne Mätzchen und Effekthascherei inszeniert, brillant gespielt von einem starken Darstellerteam, und selbst wenn der Ottonormalzuschauer nicht alles kapiert, was hier im einzelnen verhandelt wird, so wird das Gefühl, das zentrale Drama doch auf jeden Fall rüberkommen. Ein Film zur Zeit auf jeden Fall, einer, der diese Zeit beunruhigend klar und genau abbildet. (12.10.)