Within the whirlwind (Mitten im Sturm) von Marleen Gorris. England/Belgien/BRD/Polen, 2009. Emily Watson, Ulrich Tukur, Ian Hart, Agata Buzek, Lena Stolze, Monica Dolan, Benjamin Sadler

   Wo zum Teufel sind die Russen, wenn man sie braucht? Was ist überhaupt mit der russischen Filmindustrie passiert? Zermürbt von Putins Pseudodemokratie? Gekauft vom Oligarchiekapitalismus? Pleite, total am Ende oder was? Warum machen sie keine Filme über ihre eigenen Themen, was ist mit jenen großartigen Filmen aus den ersten Jahren nach Glasnost? Alles erstickt in Korruption vermutlich. Russische Filme? Gibt’s nicht mehr! Also müssen andere ran, um ihre Geschichten in Szene zu setzen, warum sich aber ausgerechnet die kreuzbrave, immer schön beflissene Frau Gorris das Projekt an Land gezogen hat, weiß kein Mensch. Man weiß aber gleich schon, welche Sorte Film daraus wird – schön betroffen, menschlich ganz korrekt, aber eben sehr sehr brav.

   Die Geschichte der Eugenia Ginzburg (1904-77), einer eifrigen Parteigängerin und Literaturprofessorin in Kazan, die in den 30ern in die Mühlen des Stalinterrors gerät und wegen angeblicher Kooperation mit trotzkistischen Saboteuren zu zehn Jahren Sibirien veurteilt wird. Sie verliert ihre Familie, verliert einen Sohn, überlebt nur mit Hilfe des deutschen Lagerarztes Anton Walters, eines deportierten Krimdeutschen, in den sie sich verliebt und mit dem sie nach ihrer Entlassung eine neue Familie gründet. Wenn man nachliest, stellt man fest, dass sie Ende der 40er nochmals interniert und erst Mitte der 50er endgültig entlassen und rehabilitiert wurde. Ist aber egal, die Geschichte, so wie der Film sie erzählt, hätte allemal gereicht für ein eindrückliches Porträt einer der drei furchtbarsten Diktaturen des 20. Jahrhunderts (neben Hitler und Mao). Egal, welche Farbe die Tyrannen tragen, egal, welche Traditionen sie heraufbeschwören und wessen Geist sie angeblich anhängen, im Grunde sind sie alle gleich, und so finden sich auch in dieser Geschichte die klassischen Motive totalitären Terrors: Die Paranoia, die Hysterie, die Angst, die Denunziation, die Bespitzelung, die Verherrlichung eines Führers, die Diktatur des Dogmas, die ideologische Gehirnwäsche, die Sprachregelung („Säuberung“ nannte sich der Massenmord hier, „Endlösung“ hieß es bei Hitler) die Willkür, die Gewalt, die vollkommene Unterjochung, Erniedrigung und Demütigung der gesamten Bevölkerung und die Erschaffung eines Feindbildes, das unbedingt nötig ist zur Rechtfertigung des Systems. Ginzburg gerät völlig unvorbereitet in den Sog und in haarsträubender Geschwindigkeit wird sie mitgerissen, ohne jede Chance auf so etwas wie Gerechtigkeit oder gar einen fairen Prozess, und wie Millionen anderer wurde sie in einer farcenhaften Gerichtsshow abgeurteilt, in den Güterzug gesteckt und ab in den Osten verschifft. Ins Lager, GULAG oder KZ, egal. Welche zynische Parole über dem Eingangstor steht, ist ebenfalls egal, und auch in welcher Sprache es geschrieben ist, zwischen den systematischen Vernichtungsorgien der Nazis und denen der Stalinisten mag es phänomenologische Unterschiede geben, im Prinzip aber sind sie sich sehr ähnlich. Millionen Inhaftierter starben dort, geschändet, ermordet oder verhungert oder sonst wie, anonym, vergessen in den endlosen Gebieten im sibirischen Niemandsland, und wenn auch die posthume Rehabilitierung einiger von ihnen eine Geste gegen Stalins Unrechtssystems gewesen sein mag, so bleibt doch festzustellen, dass sich genau wie die Deutschen auch die Russen mit der Aufarbeitung dieses grausamen Kapitels ihrer Geschichte nicht gerade beeilt haben (Filme über KZs gibt’s ja immerhin schon länger).

 

   Insofern gebührt diesem Film ein gewisser Respekt dafür, dass er sich des Themas überhaupt mal angenommen hat. Ansonsten ist es aber schon sehr enttäuschend, wie konsequent Gorris jegliche Möglichkeit verspielt, Formen und Wirkung der Stalinzeit in wirklich eindrucksvolle Szenen und Bilder zu fassen. Ihr Film ist schandbar konventionell und bieder geraten, ohne Gespür für Atmosphäre und die wirklich gewichtigen Motive erzählt, es fehlt ihm an ausreichender politischer und historischer Schärfe, aber auch an psychologischem Tiefgang, jedenfalls war für mich keine der Hauptfiguren wirklich greifbar, und das liegt gewiss nicht an den hervorragenden Schauspielern, die sich nach Kräften bemühen, das zudem schwache Drehbuch irgendwie mit Leben und Glaubwürdigkeit zu befüllen. Natürlich gelingt hier und da die eine oder andere bedrückende und auch zu Herzen gehende Szene, keine Frage bei einem solchen Stoff, aber im ganzen fehlt dem Film sowohl die analytische als auch die künstlerische Kraft, um zu größerer Wirkung zu kommen. In Erinnerung an Gorris’ frühere Werke hatte ich irgendwie schon damit gerechnet, bin aber dennoch enttäuscht. Die Möglichkeit allerdings, dass doch noch die Russen kommen und es richtig machen, die ist wohl ziemlich gering. (11.5.)