Perfect Sense von David Mackenzie. England/Dänemark/BRD, 2011. Ewan McGregor, Eva Green, Stephen Dillane, Ewen Bremner, Connie Nielsen, Denis Lawson
Das Ende der Welt, so sieht’s aus, rückt immer näher. Eine Endzeitvision jagt die andere – mal in Form von Naturkatastrophen, mal in Form finsterer politischer Visionen, häufig aber auch in Form von Epidemien, denen die Menschheit hilflos ausgeliefert ist. Um eine solche, eine besonders perfide, geht es auch hier: Nach und nach verlieren die Menschen all ihre Sinneswahrnehmungen. Es geht los mit dem Riechen, dann fällt das Hören aus und zuletzt das Sehen. Jedem dieser Ereignisse geht eine kurze Phase heftig übersteigerter Emotionen oder Bedürfnisse voraus – Trauer, Wut, Fresssucht oder Glück. Niemand kennt die Ursache dieser Epidemie, niemand kann sie aufhalten, alle Versuche, eine Verbreitung zu stoppen, misslingen. Kurz bevor also das öffentliche Leben vollständig zum Erliegen kommt, weil niemand mehr wird sehen können, spüren die Leute noch einmal den übermächtigen Drang, sich mit allen zu versöhnen und im Frieden zu leben.
Ein starkes letztes Bild eines starken Films. Der in erster Linie kein Endzeitfilm ist, sondern ein Liebesdrama, das den Chefkoch Michael und die Epidemiologin Susan aus Glasgow zeigt, wie sie versuchen, unter den gegebenen Bedingungen eine Beziehung auf die Reihe zu kriegen. Das wäre auch so schon problematisch genug, denn er ist ein ausgesprochen leichtlebiger Hallodri und sie eine misstrauische Frau, die mit Vorliebe auf Arschlöcher reinfällt. Nun aber erleben sie ihre gemeinsame Zeit mit doppelter Intensität, stehen des Verlust des Riechens und Schmeckens gemeinsam durch, zerstreiten sich in der Wutphase, die dem Hörverlust vorausgeht, versöhnen sich aber in der Glücksphase unmittelbar bevor beide blind werden. Dazwischen sehen wir, wie Susan und ihre Kollegen vergeblich versuchen, der Epidemie, die sich rasend schnell über den gesamtern Erdball ausbreitet, irgendwie beizukommen, und wir sehen, wie Michael und seine Kollegen ebenfalls vergeblich versuchen, ihr Restaurant am Leben zu halten, obwohl niemand mehr etwas schmecken kann. Während das öffentliche Leben langsam aber sicher zusammenbricht, die unvermeidlichen Plünderer wieder unterwegs sind, sinnlose Quarantänemaßnahmen für zusätzlichen Frust sorgen und sich die Menschen mit der Tatsache vertraut machen müssen, dass sie über kurz oder lang die Kontrolle über ihr Leben verlieren werden. Eine ausgesprochen furchterregende Endzeitvision, wie ich finde, weil sie auch viel stärker an die Substanz geht als all die vielen Atomunfälle oder Mutationsgeschichten oder sonstiges. Auch in „Perfect Sense“ geht es eher um die Konsequenzen als das Phänomen an sich, indem gezeigt wird, dass Schritt für Schritt die Körpersinne einfach verschwinden, und damit die Essenz des Lebens, und dass die Menschen vor die extreme Herausforderung gestellt werden, sich jedem Verlust neu anzupassen. Es ist irgendwie schade, dass der Film schon nach neunzig Minuten zu Ende geht, weil ich eigentlich dabei bleiben und zusehen wollte, wie es weitergeht, wenn das Sehen nicht mehr funktioniert und irgendwann auch das Tasten nicht mehr. Vielleicht ist es aber auch gut, dass uns das erspart geblieben ist, denn solch ultimativen Horror kann wohl niemand ertragen.
Auch so ist das ein Film, der in seiner Mischung aus Sinnlichkeit, Drama und Apokalypse bleibt, der mir irgendwie ziemlich nahe gegangen ist. Er hätte von Grund auf schief gehen können, doch Mackenzie balanciert die einzelnen Elemente perfekt gegeneinander aus und schafft eine extrem dichte, durchgehend eindrucksvolle Atmosphäre. Die eindringliche und intime Liebesgeschichte wird von der Chemie der beiden großartigen Hauptdarsteller getragen, und das zunehmende Verlorengehen all dessen, was die menschliche Existenz auszumachen scheint, wird sehr effektvoll als dunkle Vision gezeichnet, die keine wilden Spezialeffekte benötigt und trotzdem zutiefst beunruhigend ist. Wie immer in solchen Fällen muss man sich drauf einlassen wollen, und das wollte ich, und so ist ein nachhaltig beeindruckender Kinoabend draus geworden. (8.12.)