Polisse (Poliezei) von Maïwenn. Frankreich, 2011. Joeystarr, Karin Viard, Marina Foïs, Nicolas Duvauchelle, Maïwenn, Karole Rocher, Emmanuelle Bercot, Frédéric Pierrot, Jérémy Elkaïm, Sandrine Kiberlain
Aus dem Alltag einer Kinderschutzeinheit der Pariser Polizei: Missbrauch, Misshandlung, Drogen, Kinderhandel, Armut, Obdachlosigkeit und so weiter, die ganze Palette, die unsere schöne neue Welt halt so bietet. Zermürbend ist der tägliche Kampf dieser Männer und Frauen gegen Windmühlen, gegen dieses Symptom einer kranken Zeit, noch zermürbender allerdings ist die Furcht vor der Vergeblichkeit dieses Kampfes, denn auf ein oder zwei gerettete Kinder (obwohl, was heißt bei Missbrauch schon „gerettet“...) kommen zehn oder zwanzig, deren Leid niemals öffentlich wird. Das macht vor keinem sozialen Umfeld halt, vor dem gutbürgerlichen Vorort ebenso wenig wie vor dem berüchtigten Ghetto, und noch immer passiert es selbst hartgesottenen Profis, dass sie sprachlos sind angesichts dessen, was sie zu Gesicht oder zu Ohren bekommen. Und dann obendrauf zu guter Letzt kommt noch das sogenannte Privatleben, was sich in diesem Falle recht merkwürdig gestaltet, denn auch nach dem Dienst hängt die Clique zwischen Bar, Disco und Privatwohnung ziemlich eng zusammen, hat sich verbandelt in allerlei private und amouröse Händel, und so fällt es den Leuten sehr schwer, berufliches und privates zu trennen, sodass heftige Szenen auf offener Bühne schon mal vorkommen, und nachher keiner mehr weiß, was da nun eigentlich dran war, und ob’s um rein fachliches ging oder eher um was anderes. So wie das halt ist im Team: Zusammen kann man was bewirken, beschützt sich in der Gruppe, doch im nächsten Atemzug geht man sich schon wieder an die Gurgel, weil einer wieder was auf dem falschen Ohr gehört hat.
Vor fast 20 Jahren drehte Tavernier schon „L.627“ über eine Pariser Drogenfahndungseinheit, 2008 erschien Cantets „Die Klasse“, beides brillante Beispiele für fast dokumentarisch anmutende Ensembledramen, die deutlichen Fokus auf Milieuschilderung und realistische Alltagsszenarien legen und in deren Tradition auch dieser Film steht. Maïwenn selbst tritt als Fotografin auf, die eigentlich mit der Gruppe nichts zu tun hat, die lediglich eine Reportage anfertigen soll, die aber dennoch mehr und mehr in den Sog der Ereignisse gezogen wird und auch noch mit einem Leitwolf des Teams anbändelt, was erwartungsgemäß zu Komplikationen führt. Ansonsten bekommen wir mehr oder weniger einen Ausschnitt aus der Arbeit dieser Einheit vorgeführt, hier eine Razzia im Rumänencamp, dort der Einsatz für eine obdachlose Mutter mit Kind, immer wieder Verhöre mit angeblich unschuldigen Vergewaltigern und Schlägern und ihren fassungslosen Frauen und, schlimmer noch, den jungen Opfern selbst, die teilweise die Situation noch gar nicht richtig verstehen, oder aber sie sehr wohl verstehen, aber dennoch kaum in der Lage sind, eine Aussage gegen den eigenen Vater zu machen. Ohnmacht und Wut brechen sich im Team häufig ihre Bahn, manchmal kann man nicht ruhig zuhören, kann nicht unbeteiligt ein Protokoll schreiben, kann dem Verdächtigen nicht korrekt und neutral gegenüber treten. Eine ganz normale, menschliche Reaktion, die weder gut geheißen noch verurteilt wird, sie passiert halt und danach geht’s weiter. Meistens hat man nach ein paar Jahren den richtigen Riecher für die Schuldigen und die Unschuldigen, und an das Gute im Menschen will man schon lange nicht mehr so recht glauben. Entsprechend angespannt, belastet, oft fast gehemmt gestaltet sich das Privatleben. Wenn man die kleine Tochter badet, achtet man sorgsam darauf, Distanz zu wahren und bloß keine zweideutige Situation entstehen zu lassen. Feste Partnerschaften sind selten und wenn, dann fragil bis zerrüttet, Stress, Ernüchterung und Erschöpfung sind zu dominant, um ein freies Leben außerhalb der Dienststelle zu erlauben. Maïwenn kontrastiert die beiden Ebenen – die öffentliche und private – sehr wirkungsvoll, sie zeigt Wechselwirkungen und Zerstörungen, sie zeigt die Verhältnisse, wie sie halt sind, und sie tut nicht so, als ließen sich schnelle Lösungen finden oder einfache Erklärungen dafür. Manchmal möchten die Polizisten verstehen, warum die Väter ihre Töchter missbrauchen, eigentlich aber wissen sie, dass es nichts zu verstehen gibt, und manchmal haben sie auch zuviel Angst, sich dem Abgrund zu sehr zu nähern.
Dies ist ein großartiger und sehr beeindruckender Film mit einem ebensolchen Ensemble, ein Film, der keine ausgetüftelte Dramaturgie braucht, der dennoch durchgehend spannend und bewegend bleibt, ein Film, der wie viele meiner Lieblingsfilme ganz aus dem Alltag kommt und schon genug sagt, indem er die Dinge so zeigt, wie sie sind. Französisches Gegenwartskino im allerbesten Sinne, in seiner Art ein Meisterstück. (8.11.)