Small World von Bruno Chiche. Frankreich/BRD, 2010. Gérard Depardieu, Alexandra Maria Lara, Niels Arestrup, Françoise Fabian, Nathalie Baye, Yannick Renier

   Fast so elegant wie der Autor Martin Suter verquickt auch dieses äußerst gekonnt inszenierte Drama verschiedene Themen zu einer komplexen, spannenden Geschichte und versagt sich sogar noch die durchaus möglichen Knalleffekte zugunsten einer sehr ruhigen, sehr konzentrierten und dichten Erzählung von einem Mann, dessen Kurzzeitgedächtnis dramatisch schwindet, dessen Langzeitgedächtnis dafür noch intakt ist, und zwar sehr zum Unbehagen jener Familie, die ihn einst angeblich in ihre wohlhabende Mitte aufnahm, um ihn später zum Bediensteten zu degradieren. Nun driftet Konrad immer mehr ab in geistige Umnachtung, ein milder, heiterer Koloss, der die gegenwärtige Welt nicht mehr versteht, der sich aber haarklein an Details aus der Vergangenheit erinnert. Wie ein kindlicher Anarchist platzt er in die verkrampften Hochzeitsfeierlichkeiten auf dem pompösen Anwesen der Familie Senn, und Simone, die junge Schwiegertochter des Hauses spürt bald, dass seine Gegenwart nicht nur ärgerlich und unerwünscht, sondern regelrecht gefährlich für die alteingesessene Industriellendynastie ist. Es häufen sich Widersprüche, rätselhafte Vertauschungen von Namen, zunehmend offene Aggressionen, und als Simone ein sorgsam verstecktes Fotoalbum im Schreibtisch der gestrengen Frau Mama findet und Konrad darin blättern lässt, spitzt sich die Situation unausweichlich zu.

 

   Trotz der im Kern recht melodramatischen und kolportagehaften Geschichte um zwei Jungs, die von der einen Mutter als kleine Kinder vertauscht wurden und deren Schicksal dadurch in grundsätzlich konträre Bahnen geriet, finde ich den Film sehr überzeugend. Er geht eben nicht auf den möglichen schrillen Effekt, er benötigt kein spektakuläres Finale, er baut seine Geschichte sehr bedächtig und sorgfältig auf, gibt den Personen den nötigen Raum, gibt zugleich aber auch nicht zuviel preis, sondern lässt bis kurz vor Schluss viele Möglichkeiten offen. Sehr gut gelungen ist die Mischung aus Melancholie, Poesie, leisem Humor und geschickt dosierter Spannung, die aus den Möglichkeiten eines düsteren Familiengeheimnisses entsteht. Die zarte, sehr zurückhaltende Simone und der wuchtige, arglose Alzheimerkranke sind ein tolles Paar, das einen spannungsreichen Kontrast zum eher dekadenten und lebensmüden Ambiente im Hause Senn bildet. Der Regisseur Bruno Chiche setzt auf intensive Atmosphäre und hat dazu Bilder gefunden, die das teilweise etwas entrückte Setting eindrucksvoll unterstreichen. Eindrucksvoll ist in der Tat auch die Besetzung, die durchweg in Topform agiert, vor allem Alexandra Maria Lara, die ihre häufig etwas zu einseitig festgelegte, zerbrechliche Aura sehr wirkungsvoll einsetzt, und natürlich Monsieur Depardieu, dem zuzuschauen einmal mehr ein Genuss an sich ist, und dem es einmal mehr unnachahmlich gelingt, das an sich Schwere und Tragische ganz leicht und zart erscheinen zu lassen. Auf ihn verlässt sich Chiche zu recht, er gibt der doch recht abenteuerlichen Figur soviel Präsenz und Glaubwürdigkeit, wie der Film braucht, um als ernsthaftes Drama bestehen zu können. Ein Drama, das man sich auch als jemand ansehen kann, der beruflich reichlich genug mit allen Formen der Demenz konfrontiert wird. (11.1.)